Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
gegeben hatte, hinter meiner Stirn dröhnte. Und trotzdem griff ich Nikolai weder an, noch wehrte ich ihn mit der nötigen Konzentration ab, da ich jede Gelegenheit nutzte, in Milas Gesicht zu lesen. War ich wirklich ein Fremder für sie, dessen Tod sie wünschte? Wenn ich Nikolai tötete, würde ich es mit hoher Wahrscheinlichkeit nie herausfinden, weil er sie mit ins Jenseits nehmen würde. Um sie zu retten, würde meine Kraft nicht ausreichen. Wofür ich mich auch entschied, es war stets falsch.
»Was ist, verdammt?«, schrie Nikolai mich an, die Wangen glühend vor Zorn. »Wenn du nicht vorhast, dich zur Wehr zu setzen, dann hör endlich auf, dich zu verteidigen, und lass es uns zu Ende bringen. Es ist gleichgültig, wie oft du in ihre Richtung starrst, sie gehört nicht mehr zu dir. Sie ist mein!«
»Du irrst dich, so wie du dich damals bei Shirin geirrt hast. Es besteht nämlich ein großer Unterschied zwischen Besitzen und Lieben, aber du würdest ihn nicht einmal dann begreifen, wenn dir alle Zeit der Welt zur Verfügung stünde. Es mag dir gelingen, mich zu töten, aber du wirst trotzdem verlieren.«
Nikolai stieß einen hasserfüllten Schrei aus, und als seine Aura gleißend aufleuchtete, fühlte es sich an, als ob sich tausend Schnitte in meine Haut grüben. In dieser Sekunde tauchte ein schwarzes Schwingenpaar auf, das auf die Spitze des Turms zuhielt.
Du solltest langsam zum Gegenschlag ansetzten, du hast bereits etwas von einem erlöschenden Stern , teilte Asami mir in seiner unnachahmlich charmanten Art mit.
Dann brach Nikolais Angriff wie eine Lawine aus Eis über mich ein. Ich hüllte mich in die Reste meiner Aura und duckte mich unter ihr hinweg. Lange würde ich jedoch nicht mehr gegen ihn bestehen können. Was auch immer Asami vorhatte, ich konnte nur darauf vertrauen, dass er das Richtige tat.
∞∞
Mila
Ich wandte gezwungenermaßen den Blick von den Kämpfenden ab, als eine Schattenschwinge neben mir landete. Schwarz und Weiß und Rot, mehr Farben existierten nicht an ihr. »Wer bist du?«, fuhr ich ihn an, was angesichts seines gezückten Schwertes vermutlich keine sonderlich gute Idee war. Aber ich empfand keine Furcht, nur nackte Verzweiflung.
»Ich bin Asami, und du solltest dankbar dafür sein, dass ich gekommen bin. Du musst möglichst weit weg von dieser Pforte, je größer der Abstand, umso besser. Nur ein Wahnsinniger wie Nikolai kommt auf die Idee, seine Pforte über ihre Grenzen hinweg auszuweiten. Wenn er zur Hölle fährt, wird sie im Moment seiner Auslöschung alles sie Umgebende mit ins Verderben reißen. Wir können von Glück sagen, dass die anderen Schattenschwingen trotz ihres Blutdursts die Gefahr erkannt haben und geflohen sind. Und genau das werden du und ich jetzt auch tun.«
»Ich werde den Turm auf keinen Fall verlassen! Falls du also etwas Nützliches tun willst, dann bring diese beiden Verrückten auseinander, bevor noch einem von ihnen ernsthaft ein Unglück zustößt.«
»Glaub mir, ich würde nur allzu gern eingreifen, aber die Ehre, Nikolai zu töten, gebührt allein Samuel. Solange du allerdings in seiner Nähe bist, ist er außerstande, seine Bestimmung zu erfüllen.«
Die Kälte, mit der Asami diese Worte aussprach, traf mich nur halb so tief wie seine Überzeugung, dass dieser Kampf im Tod enden würde. In Nikolais Tod.
»Keiner von beiden soll sterben, weder der eine noch der andere.« Meine Worte klangen seltsam leer, als meinte ich sie nicht wirklich. »Nikolai ist mein Gefährte, ich …«
Da verpasste Asami mir eine schallende Ohrfeige. Ich fasste nach der getroffenen Stelle, die wie Feuer brannte, und blinzelte die Tränen aus den Augen. Obwohl er keine Miene verzog, erkannte ich die Genugtuung in seinen schwarzen Augen, als hätte er schon lange auf eine solche Gelegenheit gewartet. Ohne zu wissen, warum, gönnte ich sie ihm.
»Du wirst Samuel jetzt wissen lassen, dass du für ihn nicht verloren bist. Hast du verstanden?«
Ich erwiderte trotzig seinen Blick. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, was du von mir willst.«
Als Asamis Hand erneut vorzuckte, hob ich den Arm. Noch einmal würde ich mich nicht von ihm schlagen lassen. Das hatte er jedoch auch gar nicht vor, sondern er griff nach der Hand, an der mir der Ringfinger fehlte. Bevor ich begriff, was geschah, ließ er seine schmalen Finger zwischen meine gleiten und presste unsere Handflächen zusammen. Sofort begann der Ring rotgolden zu glühen, und ich spürte die Gegenwart der
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