Schattenseelen Roman
die Welt zu setzen und dem kleinen Wesen den Fluch weiterzugeben, käme für ihn niemals in Frage. »Er befürchtet eine Fehlgeburt, nicht wahr?«
Auf einmal machte die Frau den Eindruck, gleich zusammenzubrechen. Adrián eilte zu ihr, stützte sie und führte sie zu einem Sessel. Er hätte ihr gern mehr geholfen, aber er war kein Arzt. Er konnte nur mit seinem Nachzehrer-Blick zusehen, wie der Körper der Schwangeren gegen das Baby ankämpfte, als wäre es etwas Fremdartiges, was nicht in einen Menschenleib gehörte. Die Ursache dafür wusste er nicht.
Im Flur klackte das Schloss.
Die Frau schreckte zusammen. »Mir fehlt nichts. Danke.« Sie erhob sich schwerfällig und schwankte aus dem Zimmer. »Ach, Schatz, wie schön, dass du da bist. Ein Freund von dir ist da, er meinte …«
»Du dummes Weibsstück!«, dröhnte es durch die Tür. »Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst niemanden reinlassen. Ich habe keine Freunde!«
Das Wüten eines Betrunkenen, das Wimmern einer verängstigten Frau … Bevor noch etwas Schlimmes passierte, trat Adrián in den Flur.
»Willst du nicht erst mal hallo sagen, Sebastian?« Was er vor sich erblickte, gehörte zu den abstoßendsten Erscheinungen, die ihm jemals unter die Augen gekommen waren. War er noch vor einiger Zeit einem imposanten Mann von der Statur eines Bullen gegenübergestanden, sah er nun einen Versager, der sich an der Wand abstützte und seine Frau anbrüllte. Die Augen in dem schlaffen Gesicht blickten trüb. Das fettige, ergraute Haar hing in Strähnen auf seine Schultern herab. Die Alkoholfahne, die der Kerl verbreitete, verpestete die Luft der ganzen Wohnung.
Bei Adriáns Anblick erblasste er. »Du?«, presste er durch die zusammengebissenen Zähne hervor, stieß sich von der Wand ab und torkelte ein paar Schritte vorwärts. Er wäre gestürzt, hätte Adrián ihn nicht am Oberarm gepackt.
»Wir müssen reden, Sebastian. Ich schätze, du bist mir noch etwas schuldig.«
»Ich bin dir nichts schuldig!«, lallte er, und Adrián musste das Gesicht abwenden, um sich von dem säuerlichen Atem nicht übergeben zu müssen.
»Das sehe ich anders. Und jetzt komm ins Wohnzimmer.«
Sebastian strampelte sich los und hielt sich an der Garderobenstange fest. Schwer hob er den Kopf, schielte zu seiner Frau und brummte: »Geh in die Küche und stör uns nicht. Na los, worauf wartest du noch? Beweg deinen Arsch.«
Sie zuckte zusammen, schien noch kleiner und
jämmerlicher zu werden. Rasch verschwand sie in der Küche, und die Tür fiel hinter ihr zu. Dahinter ertönte ein Schluchzen. Adrián ballte die Hände. Er stand kurz davor, dem Kerl eine reinzuhauen, aber mit einem gebrochenen Kiefer würde dieser Mann ihm schlecht etwas über die Metamorph-Anlage erzählen können.
Im Wohnzimmer angelangt, plumpste Sebastian in den Sessel und legte die Füße auf den Couchtisch.
»Was willst du von mir? Wir sind miteinander fertig«, keuchte er. Es kostete ihn sichtlich Mühe, klar zu reden.
Adrián stützte sich mit dem Ellbogen auf die Fensterbank. »Wer einen Pakt mit dem Teufel schließt, gehört ihm auf ewig. Ich brauche Informationen von dir.«
Sebastian lachte krächzend, was einem Hustenanfall gleichkam. »Und womit willst du mir drohen? Mit dem Fegefeuer? Schau dich bloß um: In der Hölle bin ich schon längst angekommen.«
»Das merke ich.«
»Also verzieh dich.«
»Wie du meinst. Deine ehemaligen Metamorph-Freunde werden sicherlich gern erfahren, wer den Tod von Johannes Ney zu verantworten hat.«
Sebastian schnappte nach Luft. »Du hast ihn umgebracht, schon vergessen?«
»Stimmt, wie konnte es mir bloß entfallen. Aber … Moment mal. Warst nicht du es, der mich angefleht
hat, dir bei deinem Rachezug zu helfen, weil dieser Johannes Ney deine Kuh geschlachtet hat?«
Rote Flecken überzogen das Gesicht des Mannes. »Diese Kuh hieß Großmütterchen Thilde, und sie war mein Seelentier!« Er wollte aufspringen, taumelte, und Adrián benötigte bloß einen Schubs, um ihn zurück in den Sessel zu befördern.
»Bleib, wo du bist, ich bin noch nicht fertig! Ja, ich habe Johannes umgebracht. Aber du hast danebengestanden und dich an den Qualen des Armen ergötzt. Du warst derjenige, der sich alle möglichen Foltern für ihn ausgedacht hat. Und dich hat er in den letzten Minuten der Besinnung verflucht.« Manchmal, wenn er in den Erinnerungen daran zu ertrinken drohte, redete Adrián sich ein, er wäre nicht schuld an dem Vorfall. Sebastian hatte ihn aufgesucht
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