Schattenseelen Roman
einfach wunderbar! Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte sogar ich geglaubt, sie wäre eine Totenküsserin und nicht eine von uns.« Sie sperrte den Käfig auf.
Evelyn kroch heraus. Sie stand noch nicht fest auf den Beinen, da lief Kilian zu ihr und drückte sie an sich, dass ihr der Atem ausblieb.
»Oh mein Gott, du hättest es nicht tun sollen. Was,
wenn dir etwas passiert wäre? Ich hätte es mir niemals verzeihen können.« Stürmisch küsste er ihr Gesicht, streichelte ihr durch das Haar, atmete ihren Duft ein, immer und immer wieder.
Endlich gelang es Evelyn, über seine Schulter zu blicken. Die Metamorphe zerrten Adrián auf die Beine.
»Verstehe«, flüsterte er und spuckte Blut aus dem zerschlagenen Mund auf den Boden. »Du hättest mir früher sagen sollen, dass du dir ein Schoßhündchen wünschst.« Sein Blick, der sie daraufhin traf - voller Abscheu, verraten und verletzt -, zerriss ihr Herz in Stücke.
26. Kapitel
D u bist so schweigsam.« Erst als Kilian sie an der Schulter rüttelte, nahm Evelyn ihn wahr. Sie saß auf dem Sofa in seinem Bungalow, während die Welt um sie herum sich in einer Schleife drehte. Vor ihrem inneren Auge erlebte sie Adriáns Gefangennahme aufs Neue: seinen letzten Händedruck, die Schüsse, das Geräusch, als er zu Boden gerissen wurde, und sein Blick, mit dem er sie bis in alle Ewigkeit verdammte. Was danach geschehen war, hatte sie wie in einer Trance erlebt. Mit einem falschen Lächeln hatte Linnea sie in eine herzliche Umarmung geschlossen und ihr zugeflüstert: »Wage es ja nicht, dich gegen mich zu stellen.«
»Wenn wir uns das nächste Mal treffen, töte ich dich«, hatte Evelyn versprochen und nur Hohn geerntet: »Nicht, wenn ich dir zuvorkomme, Liebes.«
Jetzt saß Evelyn seit Stunden auf der Couch, während die Verzweiflung sie in den Wahnsinn trieb. Die Aussichtslosigkeit ihrer Lage erdrückte sie, als wäre sie immer noch im engen Käfig eingeschlossen. Wie sollte sie gegen Linnea kämpfen und Adrián befreien? Unmöglich, es war schier unmöglich.
»Geht es dir gut?« Wieder Kilian.
»Lass mich in Ruhe.« Sie hasste ihn, sie hasste seine Königin und zusammen mit ihr die gesamten Metamorphe. Aber noch mehr verabscheute sie sich selbst für ihre Naivität und Leichtsinnigkeit. Sie hatte Adrián verraten, wenn auch unbewusst.
»Ich habe dir einen Tee gemacht.« Kilian hielt ihr eine dampfende Tasse entgegen.
»Verschwinde, hab ich gesagt!«, schrie sie auf und schlug ihm den Becher aus der Hand.
Der Tee verbrühte seine Haut, tränkte den blutigen Verband und ergoss sich auf die Dielen. Trotz des Schmerzes, den er empfinden musste, rührte sich Kilian nicht. Wie ein Berg stand er vor ihr, mit versteinertem Gesicht und gesenkten Lidern. Doch sein Zorn galt nicht Evelyn.
»Linnea hätte dich nicht mit reinziehen sollen. Du bist einfach nicht so weit, einem Totenküsser gegenüberzutreten. Hat er … hat er dir etwas angetan?«
Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. Nein, ich habe ihm etwas angetan. Evelyn ließ die Schultern sinken. Wie sollte sie ihn bloß retten? So ganz allein?
Aber … warum denn allein?
Von einer unerwarteten Eingebung ereilt, schaute Evelyn in Kilians besorgte Augen. Nein, niemals würde er ihr helfen, seinen Erzfeind zu befreien. Oder doch? Sie hatte ihm schließlich etwas anzubieten, was seine Rachegelüste entschädigen könnte.
Evelyn verkrampfte ihre Hände im Schoß und zählte
ihre Herzschläge. Wumm-wumm: ein Schlag, ein Wort. »Du sagtest, du liebst mich.«
Was tust du da?, versuchte sie sich aufzuhalten. Du bist ein manipulierendes, verlogenes Miststück. Keinen Deut besser als Linnea. Hör auf damit!
Aber sie hörte nicht auf. Weitere Herzschläge - weitere Wörter, die ihr schwer über die Lippen gingen: »Du hast gesagt, du willst mich nicht verlieren. Du willst, dass ich bei dir bleibe.« Evelyn merkte, wie sie sich bemühte, das Unausweichliche hinauszuzögern. Was sie Kilian gleich unterbreiten würde, ähnelte einem Todesurteil, das sie für sich selbst unterzeichnete.
Er kniete vor ihr nieder und nahm ihre Hände in die seinen. »Natürlich.« Mit dem Daumen streichelte er ihr über die Haut, um ihre verkrampften Finger zu lockern.
Evelyn zwang sich zu einem Lächeln. Zu einem letzten, wie es ihr schien. »Ich werde es tun.«
Mit diesem Satz starb etwas in ihr. Sie zählte keine Herzschläge mehr, denn auch die konnten sie nicht davon überzeugen, zu leben. Ihr Körper und ihr Geist waren nicht
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