Schattenseelen Roman
konnte und die pralle Sonne ihr noch mehr Energie entzog. Vermutlich handelte es sich um einen Einzelgänger. Und einen Neuling.
Die Frau schob den Einkaufswagen in die Reihe und holte ihren Euro heraus. Als sie an dem schluchzenden Mädchen vorbeikam, blieb sie stehen. »Was ist los, Kleines? Wo sind deine Eltern?«
»Meine Mami war einkaufen. Ich wollte noch ein wenig mit den beiden Jungen spielen, aber sie haben
mir meine Puppe kaputt gemacht!« Ihre Nase lief, und sie verschmierte den Rotz über ihre Wangen.
Die Frau gab ihr ein Taschentuch. »Wohnst du hier in der Nähe?«
»In der Oskarstraße.«
»Das ist gleich um die Ecke. Weißt du was? Ich bringe dich heim.«
»Danke. Kann ich Ihnen beim Tragen helfen?«
»Oh.« Die Schwangere blinzelte irritiert.
»Ich bekomme bald ein Schwesterchen, da helfe ich meiner Mami immer beim Tragen!« Ohne die Antwort abzuwarten, nahm die Kleine die Einkaufstasche und marschierte über den Parkplatz, sichtlich stolz darauf, helfen zu können.
Kilian reckte sich. Mit einigem Abstand folgte er den beiden. Bitte, flehte er in Gedanken, lass es nicht dieses Mädchen sein! Er hasste es, wenn er Kinder jagen musste, auch wenn Totenküsser keine Kinder mehr waren - bloß Teufelskreaturen mit einem engelsgleichen Antlitz. Doch wenn er die unschuldigen Gesichter sah, fiel es ihm schwer sich einzureden, es wären die widerwärtigen Bestien, die er so gut kannte.
Die Straße führte geradeaus, die Baumkronen spendeten Schatten. Zäh floss der Verkehr vorbei, als würde die Hitze auch ihm zusetzen. Bald kreuzte ein schmaler Weg die Straße. Das Mädchen ging nach links. Die Frau eilte ihr hinterher. »Warte, die Oskarstraße ist weiter vorne.«
»Mami und ich gehen aber immer hier lang!« Unbeirrt lief die Kleine weiter.
Der Weg führte an einer Wiese und einem Teich vorbei. Hinter den Büschen schlich Kilian den beiden hinterher. Ein paar Mücken hatten sich an ihn gehängt. Er schüttelte den Kopf, doch sie summten hartnäckig um seine Ohren.
Die Verkehrsgeräusche der Straße wurden gedämpfter. Bäume verdeckten die Häuser, die zu weit entfernt standen, als dass dort jemand etwas mitbekäme. Ein perfekter Ort für einen Überfall, bei dem jemand sein Leben lassen sollte.
Es war also das Mädchen. Kilian befahl sich, es nicht länger als Kind zu sehen. Doch dann lenkten hastige Schritte seine Aufmerksamkeit ab. Er bemerkte den Mann im Polohemd, der die Frau und das Mädchen einholte. War es doch nicht die Kleine? Aus seinem Schlupfwinkel beobachtete Kilian den Verdächtigen.
Der Mann überholte die Frau und verschwand hinter der Biegung des Weges. Wartete er dort auf sein Opfer? Könnte passen.
»Schauen Sie, ein Hund!«, rief das Mädchen. Kilian zuckte innerlich zusammen. Wurde er entdeckt? Doch die Kleine lief in die Büsche abseits von seinem Versteck.
»Warte!« Die Schwangere wackelte hinter ihr her. Er wusste nicht, ob wegen des Mädchens oder ihrer Tasche, die es immer noch trug.
Jetzt konnte er die beiden nicht mehr sehen. Kurz darauf ertönte ein Stöhnen, dann ein Japsen.
Kilian preschte mitten durch die Büsche. Die Zweige verfingen sich in seinem Fell, peitschten auf ihn ein, rissen Büschel aus seinem Pelz. Als er aus dem Geäst heraussprang, lag die Frau auf dem Boden. Mit weit geöffnetem Mund hatte sich das Mädchen über sie gebeugt, bereit, ihr die Lebenskraft auszusaugen. Ein friedliches Lächeln umspielte die Lippen der Schwangeren, die aufgerissenen Augen starrten teilnahmslos in den Himmel.
Kilian stürzte sich auf die Bestie, darauf bedacht, nicht in einen Blutrausch zu verfallen. Nur mit klarem Kopf konnte er auf Erfolg hoffen. Er griff es von der Seite an und brachte sie zum Taumeln. Das Mädchen fauchte. Seine Faust traf Kilian am Kopf. Er wälzte sich zur Seite, setzte zu einem neuen Angriff an, doch die Kreatur schmetterte ihn mit einem einzigen Schlag zu Boden.
Kilian sprang auf, und es gelang ihm, ihre Hand mit den Zähnen zu packen. Sie umschloss seinen Unterkiefer so fest, dass er glaubte, sie würde seine Knochen zermalmen. Mit übernatürlicher Kraft drückte sie ihn zu Boden, während sie seinen Kopf weiter nach hinten bog. Kilian röchelte. Gleich würde sie ihm das Genick brechen.
Das Mädchen feixte. »Ein Metamorph, wie schön. Es wird ein Festmahl sein.«
Der Geruch des Todes benebelte ihn. Die Kreatur
umschloss sein Maul mit den Lippen und saugte die Energie aus ihm. Kilian winselte. Die Kraft wich aus ihm wie Luft aus
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