Schattenseelen Roman
in ihrem Zimmer. Conrad und Maria schienen ihre Existenz vergessen zu haben, und Adrián plagte sich bestimmt mit den Sorgen, die sie ihm eingebrockt hatte. Kein Wunder, wenn er nicht auf die Idee kam, nach ihr zu sehen.
Inzwischen hüllte die Dämmerung die Stadt ein. Eine Brise wehte Rosenduft aus dem Garten herbei, so schwer wie die Samtvorhänge, hinter denen Evelyn sich versteckte. Die Grillen stimmten ein abendliches Konzert an. Idyllisch bis zum Erbrechen.
Je länger sie hier saß, desto trübsinniger wurde ihr Gemüt. Sie hätte ihre Zunge im Zaum halten sollen. Hoffentlich konnte Adrián alles gerade biegen. Und wenn nicht? Wenn dem alten Professor etwas zustieße - wie sollte sie damit leben? Nun, vielleicht war ›leben‹ das falsche Wort für ihren Zustand, aber eine Ewigkeit mit Schuldgefühlen verbringen zu müssen, klang noch schauderhafter.
Es klopfte. Evelyn ignorierte es. Die Tür öffnete sich trotzdem.
»Alles bestens«, antwortete sie auf die Frage, die nicht einmal gestellt wurde.
»Depressionen? Sie werden vergehen.« Conrad, ausgerechnet Conrad! Sie fing an, ihn zu hassen - allein schon für diesen kurzen Augenblick, in dem er Adrián in die Enge getrieben und ihm gedroht hatte. Sie hasste diesen Mann, um sich vor ihm nicht gruseln zu müssen.
»In der ersten Zeit ist es schwierig, sich zurechtzufinden.« Jetzt stand er dicht hinter dem Vorhang.
Geh weg! Verschwinde! Noch weiter von ihm fortrücken konnte sie nicht, ohne aus dem Fenster zu fallen. Doch sie traute sich nicht, ihn offen davonzujagen. »Sie haben aber gut reden.«
»Du musst nicht allein damit klarkommen. Ich … wir sind für dich da.« Das ›Du‹ überraschte Evelyn. Sie kaute auf der Unterlippe. Alles klar, die Vertrauen-Gewinn-Taktik. Wollte er sie so um den Finger wickeln, damit sie ihm und seinem Clan blind folgte? Darauf konnte er lange warten!
Er zog den Vorhang ein Stück beiseite und beabsichtigte anscheinend, sich zu ihr zu setzen, doch sie schubste ihn von sich. »Ja, ich habe gemerkt, wie Sie für Adrián da waren.«
Er blieb auf Abstand. Keine Regung verriet seine Gefühle. »Ich bin nicht hier, um über ihn zu reden.«
Sie senkte den Kopf und rieb sich über das Gesicht. Adrián wird mich hassen. Er wird mich bis in alle Ewigkeiten hassen, weil ich ihn und Hermann verraten habe , dachte sie … zu intensiv, und Conrad empfing es.
»Aber nein. Er wird sich bald abreagieren. Rivas ist wie ein Pulverfass: explosiv und laut, aber nicht auf Dauer. Du …« Er räusperte sich. »Sie haben nichts Falsches getan. Er ist es, der … nun ja, drücken wir es so aus: Sein Handeln war suboptimal. Das habe ich nicht erwartet. Nicht von ihm.«
»Was ist schon dabei, wenn er sich mit Hermann trifft? Es ist seine Sache.«
»Ich verstehe, dass es schwer ist, sich von der eigenen Vergangenheit loszusagen. Rivas klammert sich immer noch verzweifelt an seine Identität. Meine Güte, er versucht sogar mit aller Gewalt seinen spanischen Akzent zu bewahren! Aber können Sie sich vorstellen, was geschieht, wenn Menschen von unserer Existenz erfahren? Ich kann es nicht. Doch eines ist klar: Die Welt, wie wir sie kennen, wird aufhören zu existieren. Na gut, wir könnten dann dafür plädieren, dass die Verwendung von Bezeichnungen wie ›Totenküsser‹ oder ›Gierrach‹ politisch inkorrekt wird. Aber ich glaube nicht, dass die einzigen Fragen, die der Menschheit Kopfschmerzen bereiten würden, sich auf die Punkte beschränken würden, ob wir wahlberechtigt sind und kandidieren dürfen. Glauben Sie mir, dieses Versteckspiel macht keinem von uns Spaß, aber wir haben keine Wahl.«
»Wieso nehmt ihr das alles hin, wieso versucht ihr nicht, die Hexen zu finden und den Fluch zu beheben?«
Conrad presste die Lippen zusammen. Eine Furche grub sich in seine Stirn. Er wirkte besorgt. Um sie?
»Lynn, ich rate Ihnen, von dieser Idee abzulassen. Die Mächtigen sind gefährliche Geschöpfe, heimtückisch und unberechenbar. Erfüllen sie Ihnen einen Wunsch, bezahlen Sie das Tausendfache dafür. Es ist ein Pakt mit dem Teufel. Die Hexen werden Ihnen keinen
Ausweg geben, sondern Sie in eine noch schlimmere Verdammnis stoßen.« In seinen braunen Augen lag Schrecken verborgen, und das erschütterte Evelyn mehr als all seine Worte. »Suchen Sie niemals - ich wiederhole! - niemals nach einer Hexe!«
»Aber …«
»Ich möchte Ihnen etwas erzählen. Ein guter Freund von mir wollte einmal die Gunst einer Mächtigen ersuchen. Sie kam
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