Schattenseelen Roman
beleuchteten den Garten bis in die letzte Ecke. Evelyn krümmte sich auf dem Boden, drückte sich die Ohren zu und hielt die Augenlider zusammengekniffen, ohne zu wissen, wie sie in dieses Chaos aus Licht und Krach gelangt war. Sie fühlte das feuchte Gras unter sich und atmete den Geruch der Erde ein. Die Kühle der Nacht drang durch ihr T-Shirt, in dem sie sich schlafen gelegt hatte. Was war passiert? Wo war sie? Das Letzte, woran sie sich erinnern konnte, war, wie sie in ihrem Bett lag. Sie hatte geschlafen - oder nicht?
Jemand hob sie hoch und schüttelte sie, doch sie weigerte sich, die Augen aufzumachen. »Evy? Evy, was ist los?«
Mit einem Schlag wurde es still. Evelyn fürchtete, taub geworden zu sein. Vorsichtig öffnete sie die Lider und sah in Marias besorgtes Gesicht. Sie wollte etwas sagen, stieß jedoch nur ein klägliches Wimmern hervor.
Zusammen mit der Lady sank sie zurück auf den Boden. Maria drückte sie an sich und strich ihr durch das Haar. »Beruhige dich, es wird alles wieder gut.«
Wie durch einen Nebel sah sie Adrián um die Hausecke auf sich zulaufen. »Was ist passiert? Wieso ist die Alarmanlage losgegangen?«
»Keine Ahnung«, antwortete Maria ihm. »Ich habe sie hier gefunden. Halb nackt und voller Blut.«
Adrián ließ sich nieder und schob die junge Frau beiseite. Evelyn spürte seine Hände, die sie untersuchten. »Evy, oh mein Gott, geht es dir gut? Wurdest du angegriffen?« Er bebte vor Sorge. »Wer war hier? Metamorphe? Wie konnten sie auf das Grundstück kommen?«
»Niemand war hier«, erwiderte Maria mit Nachdruck, anscheinend, um sie beide zu beruhigen. »Sie scheint aus dem Fenster gestürzt zu sein.«
Nach und nach erlangte Evelyn ihre Sinne wieder. »Ich habe einen furchtbaren Traum gehabt.« Sie kämpfte gegen einen Weinkrampf an, der sie zu überwältigen drohte. Die Bilder, die sie gesehen hatte, fühlten sich so wirklichkeitsgetreu an! Nein, es war kein Traum. Nachzehrer schliefen nie. Es war eine Art … Vision!
»Wo ist Conrad?«, hauchte sie.
»Scht.« Adrián wog sie in den Armen.
»Wo ist Conrad?«, wiederholte sie schrill.
»Er ist schon längst gegangen. Beruhige dich. Es wird alles gut, es ist nichts Schlimmes passiert. Du hast nur Schürfwunden abbekommen, sie werden schnell verheilen.«
Sie schluchzte und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust. »Ich habe gesehen, wie Hermann Herzhoff umgebracht wird. Es war so real. Ich habe durch die Augen des Mörders gesehen!«
12. Kapitel
K ilian wusste nicht, wie lange er am Steuer gesessen und auf das Haus hinter den Bäumen gestarrt hatte. Sicherlich nicht wegen der Architektur: Ein Bau aus Ziegelsteinen und mit einem Reetdach zählte hier auf dem Land nicht gerade zu den Raritäten.
Es wurde dunkel. Er beobachtete, wie die Lichter in den Fenstern an- und ausgingen, in einem der Zimmer schimmerte der Fernseher. Eine Holztür klapperte, jemand trat in den Hof und kurze Zeit später wieder ins Haus. Ein Mensch hätte auf die Entfernung das Geräusch gar nicht wahrgenommen, aber Kilian war kein Mensch.
Ob er nicht lieber den Motor starten und wegfahren sollte? Er grinste schief. Feige Sau! Alles, bloß nicht aussteigen und Fragen stellen, was? Die Unsicherheit quälte ihn, aber würde er die Wahrheit ertragen können? Evelyn - eine Totenküsserin. Unvorstellbar. Die Frau, die ihn an den Rand des Wahnsinns trieb, der er bis ans Ende der Welt folgen würde - sein schlimmster Feind. Es sprengte seine Existenzgrundlage, riss ihn aus dem geordneten Leben, in dem er seinen Beitrag für das Wohl der Gemeinschaft zu leisten hatte.
Kilian schlug mit dem Hinterkopf gegen die Kopfstütze. Er musste jetzt den Wagen verlassen und zum Haus gehen. Er musste klingeln und sich der Wahrheit stellen. Jetzt. Sofort.
Weitere fünf Minuten vergingen. Aus dem Handschuhfach fischte er eine Zigarettenschachtel und steckte sich einen Glimmstängel zwischen die Lippen, ohne ihn anzuzünden. Das tat er immer, wenn er sich unter die Leute mischte. Es schenkte ihm den Trug, einer von ihnen zu sein - und schon konnte er ihre Gesellschaft etwas besser ertragen.
Er gab sich einen Ruck, stieg aus dem Auto, sich darüber bewusst, wie er Zeit schindete, und machte die Schiebetür auf. Akash, der stundenlangen Fahrt überdrüssig, schoss heraus und schlug Purzelbäume im Gras. Auch das Kätzchen reckte sich und tapste zu ihm. Die Medizin, die der Arzt verschrieben hatte, zeigte Wirkung. Dem Kleinen ging es zunehmend besser. Kilian streckte
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