Schattenseelen Roman
nicht weit entfernt. Und die Biester jagten niemals allein, nur in Rudeln.
Adrián fluchte. Hermann schwebte in Gefahr - und das nicht allein durch Conrad. Ohne Gedanken an die eigene Sicherheit zu verschwenden, eilte er zum Haus.
Abseits des Kiesweges erblickte er eine Tasche und den Käfig mit einem schwarz-weißen Kaninchen, das sich bei seinem Anblick ängstlich in eine Ecke verkrümelte und zu zittern begann. Evelyn! Was machte sie hier? Die Angst um sie schnürte ihm die Kehle zu. War die Katze womöglich hinter ihr her? Fast hätte er ihren Namen herausgeschrien, zügelte sich aber noch rechtzeitig.
Stille lag über dem Grundstück. Kein Anzeichen für einen Angriff oder einen Kampf. Nach einer kurzen Überlegung brachte Adrián die Tasche und den Käfig ins Auto. Bei einer Flucht würden sie keine Zeit haben, die Sachen mitzunehmen, und Evelyn würde sich weigern, das Kaninchen hierzulassen.
Nachdem er alles im Auto verstaut hatte, kehrte er zum Haus zurück und klingelte an der Tür. Die Stille brachte ihm Unbehagen, und das Âjnâ prophezeite nichts Gutes. Zwar konnte er mit dem Dritten Auge nicht in die Zukunft sehen und nur das Schimmern und die Farben der Seelen wahrnehmen, aber es schärfte dennoch seine Vorahnungen. Immer wieder
schielte er zum Nachbargrundstück, auf dem die Katze verschwunden war, jederzeit bereit, sich mit seinen Angreifern einen Kampf zu liefern.
Erneut klingelte er, drückte so lange auf den Messingknopf, bis er das Schrillen kaum mehr ertragen konnte. Irgendwas stimmte hier nicht, das spürte er. Beim genauen Hinsehen bemerkte Adrián, dass die Tür nicht abgesperrt war, sondern nur angelehnt. Er schlüpfte ins Haus. Der Gestank nach Blut raubte ihm den Atem. Verflucht, was war hier geschehen? Wobei er nach einigen Ritualen von Hermann schon Schlimmeres gerochen hatte. Adrián stahl sich den Flur entlang. Mit dem Ärmel streifte er den schmiedeeisernen Kandelaber auf einer Kommode. Der Kerzenständer wackelte auf seinen drei Beinen. Hastig griff Adrián nach ihm und brachte ihn zum Stehen.
Er näherte sich dem Wohnzimmer. Als er über die Schwelle trat, keuchte er wie unter einem Schlag ins Zwerchfell. Er war zu spät gekommen!
Mehrere Sekunden verstrichen, bis er die Szenerie bis in den letzten Winkel ihrer Brutalität wahrgenommen hatte. Und sein Versagen.
Mit Hermann Herzhoff verband ihn mehr als nur Freundschaft oder Feindschaft, Vertrautheit und ein gemeinsames Ziel - nämlich eine Erinnerung an sein ehemaliges Leben. Jetzt lag der alte Mann in einer Ecke wie ein achtlos hingeworfenes Knäuel, und ein Fliegenschwarm labte sich an dem Leichenschmaus.
Zorn schwoll in Adrián an. Niemals vergessen. Niemals
verzeihen. Wer auch immer das getan hatte, er würde dafür büßen. Das schwor er sich.
Adrián nahm den Hut ab. In stiller Andacht kniete er sich vor die Leiche. Die Hände gefaltet, sprach er ein Gebet - für Hermann wäre das wichtig gewesen. Adrián selbst befand sich in einem Niemandsland, was Glaubensfragen anging. Nachdem er im Sarg aufgewacht war, hatte er bekennen müssen, dass weder Gott noch Teufel ihn haben wollten, und das Wissen um die Hexen stellte seine spirituellen Vorstellungen auf eine harte Probe. Zu Lebzeiten war er streng katholisch gewesen, und so hatte er in den ersten Monaten des Totseins etliche Klagen gen Himmel geschickt, die allesamt unbeantwortet geblieben waren. Mit jedem weiteren Tag hatte er sich mehr von der Kirche entfernt.
» Amén «, beendete Adrián sein Gebet und richtete sich auf. » Descansa en paz. «
Ruhe in Frieden, alter Freund, wiederholte er in Gedanken.
Darauf bedacht, keine Spuren zu hinterlassen, untersuchte er den Raum. Im Chaos fand er Hermanns Notizbuch, aus dem mehrere Seiten herausgerissen waren, und Asche im Kamin. Die Verwüstung im Zimmer diente dazu, etwas zu verbergen. Nach und nach fiel Adrián auf, wovon seine Aufmerksamkeit abgelenkt werden sollte: Jemand hatte gründlich aufgeräumt. Alle Notizen des Professors, all seine Forschungen über die Mächtigen, Nachzehrer oder Metamorphe waren vernichtet worden.
Er schaute auf die geschundene Leiche und konnte sich kaum ausmalen, was der alte Mann kurz vor seinem Tod hatte erleiden müssen. Es dauerte, bis er sich so weit zusammengerissen hatte, dass er wieder rational denken konnte.
Wer wusste von Hermann und seinen Forschungen? Evelyn, Conrad, Maria. Und wenn er die Katze in Betracht zog, auch einige Metamorphe - nur woher? Er dachte an seinen
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