Schattenseelen Roman
seit über fünfzig Jahren schlaflos durch die Welt streifte.
Evelyn. Wie von selbst schickten seine Lippen die Laute ins Nichts. Der Klang ihres Namens bescherte ihm ein schmerzhaftes Ziehen in der Magengrube. Er dachte daran, wie sie seinen Namen gerufen, sich über seinen spanischen Akzent lustig gemacht und
das R zu rollen versucht hatte: »Adrrrián«. Die Erinnerungen entlockten ihm ein Lächeln, das gleich darauf erlosch.
Was war so schwer daran, seine Triebe im Zaum zu halten? Am liebsten hätte er sich eigenhändig erwürgt, wenn das nur etwas bringen würde.
Er begehrte sie, vielleicht vom ersten Augenblick an, als er sie gesehen hatte. Sie war etwas Besonderes, sie verunsicherte ihn, schenkte ihm Freude an seiner Existenz … Bei Gott! - so ein Kaleidoskop der Gefühle hatte noch keine Frau zuvor in ihm ausgelöst. Ja, sie war ein Traum, den er selbst zerstört hatte.
Du hast mich ausgenutzt. Ihre Worte hatten ihn wie ein Pflock ins Herz getroffen. Noch mehr schmerzte die Tatsache, dass sie Recht hatte, auch wenn er es nicht gewollt hatte. Denn hätte er sie mit Drogen abgefüllt, um sie gefügig zu machen, wäre es kaum ein Unterschied gewesen. Der Bann ließ ihr keine Wahl. Doch wenn er an den gestrigen Abend zurückdachte, war er sich nicht sicher, ob er sein Begehren im Zaum hätte halten können. Sie war alles für ihn. Sie war …
Mi vida.
… sein Leben, das er verloren hatte. Es erschreckte ihn, wie leer die Welt vor ihm lag, über der er zu stehen glaubte.
Mit den Fingern zeichnete Adrián die Biegung des Lenkrades nach, während sich in seinem Kopf die Bilder von Evelyn drängten, wie sie ihn umarmte und
sich an ihn schmiegte. Er vermisste die Wärme ihres Körpers und die Zärtlichkeit ihrer Lippen.
Alles nur ein Trugbild. Nur der Bann.
Die wahre Evelyn hasste ihn, und das konnte er ihr nicht einmal verübeln. Er hatte den Mann umgebracht, den sie mochte, vielleicht sogar liebte - Bernulf oder wie auch immer er hieß. Adrián starrte auf die Straße vor sich und musste sich eingestehen, dass er eifersüchtig war. Auf einen Toten, gegen den er nie gewinnen konnte. Dieser Arzt würde für immer Evelyns Herz beherrschen, während er, eine Leiche - denn was gab es da schon zu verschönern? -, nur Abscheu in ihr hervorrufen würde.
Zu gut erinnerte er sich an ihren Blick, mit dem sie ihm im Aufwachraum des Krankenhauses begegnet war. Eine Kampfamazone, gefangen in dem zierlichen Körper einer Krankenschwester. So viel Mut, so viel Tatendrang und Energie. Eine, der man nicht jeden Tag begegnete. Vielleicht war er deswegen länger als nötig im Krankenhaus geblieben, auch auf die Gefahr hin, von Metamorphen angegriffen zu werden. Und insgeheim war er froh, dass die Schlangenfrau hinter ihr her gewesen war und er Evelyn hatte retten dürfen. Für sie hätte er sich mit allen Seelentieren der Welt angelegt. Bei all ihrer Stärke und ihrem Mut wirkte sie dennoch zerbrechlich - und vielleicht hatte er sie gestern zerstört. Was ihr Vertrauen anging, ganz sicher.
Adrián suchte nach dem Antrieb, der ihn in Bewegung versetzen und zu Hermanns Haus bringen
würde. Er sollte endlich das tun, wofür er hierhergekommen war. Wenn er sich selbst noch länger bemitleidete, brauchte der BMW womöglich die Winterreifen.
Außerdem blieb ihm nicht viel Zeit.
Wir müssen das Problem aus der Welt schaffen , hatte Conrad gedroht. Er wusste, was sein Anführer von ihm verlangte - Hermanns Gedächtnis zu manipulieren. Aber das konnte er seinem ehemaligen Freund unmöglich antun - sein halbes Leben auszulöschen. Er musste ihn warnen und ihm helfen unterzutauchen. Nach ihrem Telefonat vor ein paar Tagen müsste Hermann die entsprechenden Vorkehrungen eingeleitet haben. Jetzt galt es keine Zeit mehr zu verlieren.
Adrián stieg aus dem Auto und lief über die Straße, den Hut tief ins Gesicht gerückt und den Kragen des Sakkos hochgeschlagen, so dass er vor der Sonne geschützt war. Die hitzigen Strahlen entzogen ihm die Energie, verbrannten und schwächten ihn - er musste sich bald nähren, wenn er nicht zusammenbrechen wollte.
Am Zaun huschte eine Katze vorbei und verschwand in der Hecke des Nachbargrundstückes. Trotzdem bemerkte er das Schimmern um sie herum - ein Seelentier. Normale Vierbeiner besaßen dieses Flimmern nicht.
In ihm läuteten alle Alarmglöckchen. Der Geist des Metamorph war nicht in der Katze, auch das konnte
er erkennen, aber wo ein Seelentier herumstreunte, befand sich auch sein Herrchen
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