Schattenspäher
ist sehr nachgiebig«, sagte Eisenfuß. »Ich begreife aber immer noch nicht, wie er unseren Sturz hat abfangen können. Normalerweise hätten wir beim Aufprall völlig zerschmettert werden müssen.«
»Es ist ein sehr schlaues Netz.«
Sie erreichten die äußere Kante des Netzes, eine perfekt verlaufende Linie, und Je Wen sprang auf den Boden hinab, der nur wenige Fuß unter ihnen lag und sich beständig zu bewegen schien. Hier unten war es auch ein wenig heller, sodass Eisenfuß endlich Je Wens Gesicht erkennen konnte. Es war ein sehr ausdrucksstarkes Antlitz mit tiefen Furchen; darüber hinaus hatte er einen sorgfältig getrimmten Bart, der im Mondlicht fast weiß wirkte. Seine Augen waren klar und licht, obwohl man in der monochromen Nacht nicht sagen konnte, ob sie nun grau oder blau waren.
Eisenfuß blickte zurück auf die See der Finsternis.
»Kommt weiter«, sagte Je Wen. Eisenfuß sah, dass Silberdun und Sela bereits von der Kante gesprungen waren, während die Arami sich ihre Beute hinabreichten. Dann entfernten sie sich mit ihren Säcken, und er sah, dass ein paar Meter weiter eine Reihe Karren standen, die von den wohl kleinsten Pferden gezogen wurden, die Eisenfuß je gesehen hatte.
Er sprang von der Kante und geriet erneut ins Straucheln. Als er sich umdrehte, erkannte er, dass nicht der Boden selbst sich bewegt hatte, sondern das »Netz«, das der fliegenden Stadt folgte.
»Verfolgt das Netz die Stadt immer und überall?«, fragte Silberdun.
Je Wen schüttelte den Kopf. »Nur bei Nacht, und nur, wenn sie nah genug herankommen. Wir kennen ihre Flugrouten und folgen ihnen, wenn es für uns wieder mal an der Zeit ist.«
Eisenfuß sah, wie die Umbra sich entfernte. Er blickte nach oben auf die Unterseite der Stadt. Von hier aus betrachtet war Preyia ein wahrer Schandfleck. Ihre Hülle wirkte dunkel verfärbt und fleckig. Ein feiner Nebel senkte sich von oben auf sie herab.
»Lohnt es sich wirklich, die ganze Nacht dem Müll der Stadt hinterherzujagen?«, fragte Eisenfuß.
»Wie ich schon sagte«, erwiderte Je Wen. »Das sind sehr verschwenderische Leute.«
Timha war der Letzte, der vom Netz springen sollte. Zwar funkelte er Je Wen böse an, doch er ließ sich nicht zweimal bitten.
Gemeinsam gingen sie auf die Karren zu. Sela merkte an, dass es wohl höflich wäre, den Arami beim Verladen ihrer Beute zu helfen. Eisenfuß nahm daraufhin einem der Robenträger den gut gefüllten Sack ab, der ihm dankbar zunickte, jedoch kein Wort sprach. Als Eisenfuß den Sack zum Wagen trug, warf er einen raschen Blick hinein, und entdeckte einen halb gegessenen Laib Brot, einen Kohlkopf, einen Gürtel, ein Bündel Kleider, einen Käse und noch einige weitere Dinge, die er im Dunkeln nicht erkennen konnte.
Sie erreichten die Karren, und Eisenfuß stellte zu seinem Erstaunen fest, dass sie nicht von kleinen Pferden, sondern von Ziegen gezogen wurden. Langbeinige Ziegen mit kurzen Hörnern, die gutturale Laute von sich gaben, während sie ungeduldig in ihrem Geschirr dastanden. Die Fuhrwerke selbst waren niedrig und hatten große Ladeflächen; auch besaßen sie riesige Räder.
»Kommt rauf«, sagte Je Wen. Er und die anderen kletterten auf einen der Wagen. »In wenigen Minuten wird uns hier ein großes Beben erreichen.«
Kurz darauf waren alle Karren sowohl mit Waren als auch mit Passagieren beladen. Die Beute war sorgfältig vertäut worden. Eisenfuß, Silberdun, Timha und Sela saßen mit Je Wen vorn im Wagen. Die Ziegen setzten sich in Bewegung und zogen mit den Karren schneller von dannen, als Eisenfuß vermutet hätte. Ihre gehörnten Köpfe hüpften lustig zwischen den Ähren auf und ab, als sie durch ein wildes Kornfeld rumpelten.
Plötzlich begann die Erde zu erbeben, und der Wagen neigte sich ein Stück zur Seite. Jetzt erkannte Eisenfuß, warum sie so breit gebaut worden waren. Die Räder auf der rechten Seite des Karrens hoben sich nur einen kurzen Moment vom Boden ab, doch das stabil gebaute Gefährt kippte nicht um. Die Ziegen wirkten nicht sonderlich beeindruckt durch die Unterbrechung. In ihrem hüpfenden Gang zogen sie ihre Last weiter, als wäre nichts geschehen.
»Seht mal.« Je Wen deutete auf die fliegende Stadt. Preyia und ihr Schatten schwebten über die wilden Ebenen davon. Das Netz der Arami - nun von der Seite aus zu sehen - war von hier aus nur noch eine unregelmäßig geformte Scheibe, die wenige Fuß über dem Boden schwebte. Ein Geräusch wie Donner durchschnitt die Nacht, und dann
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