Schattenspäher
lächelte nicht.
»Schätze, sie ist nicht gerade begeistert, dass Ihr geht«, bemerkte Silberdun.
»Ich bin früh genug zurück, um die Geburt nicht zu verpassen«, sagte Je Wen.
Er führte die Gruppe durch das sich leerende Lager, wodurch sie sich langsam, aber sicher von den Karren entfernten.
»Fahren wir nicht mit einem von diesen Wagen?«, fragte Timha kleinmütig.
»Nein, wir gehen zu Fuß«, erklärte Je Wen. »Ich hoffe, Ihr wisst alle, wie man klettert.«
Sie brachen auf. Als sie den äußersten Rand des Tals erreicht hatten, sah Eisenfuß sich über die Schulter. Lin Vo stand vor einer Reihe schon beladener Karren und blickte ihnen nach. Es schien, sie sah Eisenfuß direkt ins Gesicht. Dann wandte sie sich um und ging davon. Eisenfuß sah ihr hinterher, bis er sie aus den Augen verlor.
28. KAPITEL
Und dann heirateten die Ziege und der Bär, und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Ob dies nun geschah, weil die Ziege verrückt oder der Bär gescheit geworden war, hat niemand je erfahren.
- aus »Die Ziege und der Bär«, eine Seelie-Fabel
Am ersten Tag taten sie kaum mehr als durch endlose Weiten mit wildem Getreide und windgepeitschten Felsen zu laufen. Selten machten sie Rast, um das zu essen, was Je Wen an Proviant mit sich führte, doch sie sprachen dabei so gut wie nie.
Silberdun und Eisenfuß verfügten über schier endlose Energiereserven und vermochten mit Je Wen leicht Schritt zu halten. Sela war zwar immer noch erschöpft, hatte es jedoch abgelehnt, sich mit einem Erfrischungszauber stärken zu lassen. Timha dagegen hatte sich zaubererfrischt, machte bei diesem Marsch aber trotzdem keine sonderlich gute Figur. Er war durch und durch Gelehrter und an körperliche Anstrengung gleich welcher Art einfach nicht gewöhnt; zudem taugten seine Stiefel für eine Wanderung wie diese ganz und gar nicht. Und so hörte man Timha die meiste Zeit schnaufen und ächzen und um Ruhepausen bitten.
Silberdun musste zugeben, dass er von dem Unseelie-Thaumaturgen die Nase gestrichen voll hatte. Wenn Timha sich nicht gerade über seine schmerzenden Füße oder die magere Verpflegung beschwerte, erging er sich in Selbstmitleid. Eine leise, wenngleich immer eindringlicher werdende Stimme in seinem Kopf riet Silberdun, dem lästigen Thaumaturgen einfach die Kehle aufzuschlitzen und damit ihrer aller Leiden ein Ende zu bereiten. Wie er so darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass er noch vor einem Jahr keinen solchen Gedanken gehegt hätte. Das Dasein als Schatten veränderte ihn, ja, es hatte ihn schon verändert.
Sie setzten ihren Weg Richtung Süden fort, folgten eine Weile einem Flusslauf.
»Wie weit noch bis Elenth?«, fragte Silberdun ihren Reiseführer, als sie eine kleine Anhöhe hinter sich gebracht hatten und sich vor ihnen endlose Berge in den Himmel erhoben.
»Normalerweise zwei Tage«, sagte Je Wen und deutete in Richtung Südwesten. Er drehte sich um, sah, wie sich Timha den Hügel hinaufquälte. »Doch mit ihm werden's wohl drei werden.«
Silberdun seufzte. »Und von dort ein Zweitagesritt bis zur Grenze«, ergänzte er. »Tja, ohne die schnelle Luftbarke hätten wir damit drei Tage verloren. Na ja, hätte schlimmer kommen können.«
»Schlimmer geht's immer«, meinte Je Wen.
»Wie wahr.«
»Wir könnten ein paar Stunden einsparen, wenn ihr gewillt wärt, eine Abkürzung durch die Umfochtenen Lande zu nehmen«, sagte Je Wen. »Ich hab die Strecke schon mal zurückgelegt.«
Vor einem Jahr erst hatte Silberdun die Umfochtenen Lande mit Mauritane durchquert, und er verspürte nicht die geringste Lust, noch einmal dorthin zurückzukehren. Dies teilte er Je Wen auch unmissverständlich mit.
Für den Rest ihres ersten Tagesmarsches verfielen sie wieder in Schweigen. Abgesehen vom gelegentlichen Donnergrollen eines Erdbebens und dem Wind, der durch die Felder strich, war hier draußen kaum ein Geräusch zu vernehmen. Die wenigen Tiere, denen sie über den Weg liefen, flohen lautlos, sobald die Gruppe in Sicht kam. Je weiter sie gingen, umso steiler wurde das Gelände, und umso häufiger und lauter erfolgten Timhas Proteste.
Als die Nacht hereinbrach, halfen Silberdun und Eisenfuß dem Arami beim Holzsammeln, während sich die anderen ausruhten. Sela und Eisenfuß waren beide den Tag über immer wieder mal in Gedanken versunken gewesen, doch Sela hatte ganz besonders viel gegrübelt, was selbst für sie ungewöhnlich war.
Als das Feuer brannte und die Rationen verteilt worden waren,
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