Schattenspäher
als hätte er etwas Verbotenes getan. Er erhebt sich vom Tisch und geht zu ihr, gerät dabei fast ins Stolpern. Er hat viel getrunken.
Sie treffen sich aus halber Strecke bei einem leeren Tisch und setzen sich.
»Wie heißt denn deine neue Flamme?«, ertönt da die betrunkene Stimme eines seiner Kameraden. Silberdun macht eine unwirsche Geste.
»Mutter, was im Namen von Auberons bleichem Arsch machst du hier?«
»Deine Wortwahl«, sagt sie nur.
Silberdun seufzt. »Also gut, was im Namen von Auberons bleichem Hinterteil tust du hier?«
»Ich hätte wohl besser eine Botenfee geschickt.«
»Das wäre vielleicht klüger gewesen, ja.«
Mutter legt sanft ihre Hände auf die Tischplatte. »Aber mir fehlte die Zeit dazu. Ich musste dich sofort sehen.«
»Oh, aber du kommst doch nie in die Stadt, Mutter, und dabei ist sie um diese Jahreszeit so schön«, erwidert Silberdun im Plauderton. »Morgen Abend findet zum Beispiel eine Mestina-Aufführung statt, die du einfach sehen musst, und -«
»Ich habe nicht mehr lange zu leben, Perrin. Ich kam, um mich von dir zu verabschieden.«
Silberdun bleiben die Worte im Halse stecken. »Was soll das heißen?«
»Das heißt, dass ich sterbe, und ich habe nicht vor, es auf unserem Familiensitz zu tun, sondern in einem Konvent im Süden.«
»Du? Was? Aber ...« Silberdun ist nicht imstande, in ganzen Sätzen zu sprechen. »Aber du stirbst doch nicht«, sagt er lahm.
»Ich kann dir versichern, dass es so ist. Mehrere hoch bezahlte Ärzte haben es mir bestätigt.«
»Wie lange -«
»Nur noch wenige Monate, aber so genau kann man es nie wissen.«
»Aber ...« Silberdun weiß nicht, was er noch sagen soll. Aber was?
»Und deshalb kam ich, um dir auf Wiedersehen zu sagen, Perrin.«
»Nein, nein«, sagt Silberdun. »Du kommst mit zu mir. Ich kenne die Leibärztin der Königin. Sie wird es schon wieder richten. Und dann besuchen wir zusammen die Mestina-Aufführung.«
Silberduns Sicht wird durch aufsteigende Tränen verschleiert. »Du hast das bestimmt alles nur falsch verstanden.«
»Es wäre einfacher für mich, wenn du nüchtern wärst«, sagt Mutter.
Silberdun konzentriert sich. Elemente anzuwenden, während man betrunken ist, ist eine dumme Idee, aber Silberdun ist nicht gerade für seine Weisheit bekannt. Er summt ein Cantrip zur Ausnüchterung, das ihm schon mehr als einmal gute Dienste geleistet hat, und wird zum Dank mit mörderischen Kopfschmerzen beglückt.
»Zur Hölle!«, sagt er. »Jetzt bin ich nüchtern.«
Erst jetzt wird ihm klar, wie dumm er auf seine arkadische Mutter wirken muss. Silberdun der Prasser in einem Kaffeehaus im falschen Teil der Stadt, der sich mit seinen ebenfalls nichtsnutzigen Freunden um den Verstand trinkt. Allesamt Söhne und Töchter der Oberschicht. Einer von ihnen hatte mal im Scherz zu Silberdun gesagt, dass sie eine Musiktruppe gründen sollten mit dem Namen »Die herben Enttäuschungen«.
»Es tut mir leid«, stößt er hervor.
Mutter holt tief Luft, und erst jetzt bemerkt Silberdun, dass es ihr große Mühe bereitet, zu atmen. Er erschaudert.
Sie hebt die Hand und berührt seine Wange. »Es gibt nichts, was dir leidtun müsste, mein süßer Junge.«
»So wollte ich niemals werden«, sagt er.
»Ich weiß.«
»Warum bist du nicht böse auf mich?«
»Du bist doch für uns beide schon mehr als genug böse auf dich«, sagt Mutter. »Ich schätze, ich bin einfach dankbar für das, worüber ich mir nie Sorgen machen musste.«
»Jetzt reicht's«, sagt Silberdun. Es war, als wäre ein Damm gebrochen, wobei er nicht weiß, was dieser Damm ist und was ihn bisher gehalten hat. »Morgen setze ich mich mit meinem Anwalt in Verbindung, und dann hole ich mir Friedbrück zurück. Und dann verschenke ich das Land ein für alle Mal an die verdammten Bauern, die es bestellen.«
»Aber ich möchte nicht mehr, dass du so etwas tust«, sagt Mutter.
»Warum nicht?«
»Weil dein Onkel dich dann töten lassen wird. Dessen bin ich mir sicher.«
»Ich hab keine Angst vor Bresun«, sagt Silberdun und richtet sich auf.
»Angst hin oder her, er wird sich nicht so ohne Weiteres von Friedbrück trennen. Er glaubt nämlich, er wäre Friedbrück und Lord Silberdun in jeder Beziehung, bis auf den Namen. Er würde eher sterben, als den Besitz aufzugeben.«
»Und was ist mit all den armen Edelleuten. Den Dörflern und Bauern?«
»Ich bin eine sterbende alte Frau, Perrin. Wenn ich meinen eigenen Sohn nun über all jene stelle, dann möge Aba mich
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