Schattenspäher
überlegte Everess.
»Nein«, meinte Glennet. »Der Senat wird dem nicht zustimmen. Dort ist man der Meinung, dass das Einzige, was man Jem-Aleth zukommen lassen sollte, die Anweisung ist, die Botschaft zu verlassen und nach Smaragdstadt zurückzukehren. Und was Ihr uns soeben mitgeteilt habt, ist das vielleicht beste Argument dafür, die Pläne des Senats umzusetzen.«
»Was für Pläne?«, fragte Paet.
»Der Senat hat General Mauritane gebeten, einen Überraschungsangriff gegen die Unseelie vorzubereiten«, erklärte Everess.
»Wie steht die Königin dazu?«, fragte Paet.
»Titania folgt dieser Empfehlung«, sagte Glennet. »Sie hat den Senat wissen lassen, dass sie hinter jeder seiner Entscheidungen steht.«
»Ist das noch unsere Regina Titania?«, fragte Paet ungläubig. »Die Steinkönigin? Die Faust aus kaltem Eisen?«
»Die Königin ist nicht mehr diejenige, die sie mal war«, sagte Glennet. »Traurig, aber wahr. Sie ist seit dem letzten Midwinter weit weniger in die Staatsgeschäfte involviert als einst.«
»Aber Baron Glennet«, begann Paet. »General Mauritane hat doch gesagt, dass -«
»Mauritane ist besorgter um die Sicherheit seiner Truppen als um das Wohl des Königreichs«, sagte Glennet. »Es tut mir leid, wenn das hart klingen mag, aber wir müssen nun mal das ganze Bild betrachten. Wenn wir jetzt zuschlagen, wird es keine Invasion des Seelie-Königreichs geben. Wir werden ihnen zuvorkommen.«
»Und Ihr? Seid Ihr ebenfalls dieser Ansicht?«, fragte Paet.
Glennet zuckte die Achseln. »Wie immer beschränkt sich auch hier meine Rolle darauf, einen Konsens zu erreichen. Es gibt durchaus Fraktionen im Oberhaus, die Eurer Meinung sind, doch die meisten Gilden denken anders darüber, und die haben schon eine beträchtliche Zahl von Lords auf ihre Seite gezogen. Das elfische Gedächtnis ist gut, Anführer Paet, und Selafae ist alles andere als vergessen. Einige Senatsmitglieder waren außer sich, als Mauritane nach der Schlacht von Sylvan nicht weiter nach Norden gezogen ist, um Mab endgültig zu vernichten.«
»Aber das wäre doch Selbstmord gewesen«, wandte Paet ein.
»Ich sage ja nicht, dass ich ihnen zustimme«, erwiderte Glennet.
»Nun, was geschehen ist, ist geschehen«, sagte Everess. »Wenn wir denn in den Krieg ziehen, müssen wir auch dafür vorbereitet sein. Paet, Ihr solltet Euch daher darauf konzentrieren, Mabs Taktiken und Strategien auszuspionieren.«
»Ich fühle mich zutiefst unwohl bei dieser Sache«, sagte Paet.
»Ihr fühlt Euch bei allem und jedem zutiefst unwohl«, sagte Everess. »Und jetzt geht und tut, was man Euch aufgetragen hat.«
Paet stürmte ins Haus Schwarzenstein, warf Brei, der Empfangsdame, wortlos seinen Umhang zu und funkelte auf seinem Weg ins Untergeschoss die Kopisten und Analysten griesgrämig an. Alle Angestellten wussten, es war besser, den Anführer in solch einer Situation nicht anzusprechen.
Außer sich vor Wut stapfte Paet in sein Büro und knallte die Tür hinter sich zu. Würde Everess jemals für das eintreten, was gut und richtig war? Oder würde er sein ganzen Arbeitsleben darauf ausrichten, das zu tun, was ihm den meisten Einfluss bescherte? Und Glennet, der berühmte Friedensstifter, hatte, soweit Paet es sah, nichts getan, um das Feuer unter dem brodelnden Kessel zu löschen, zu dem die Seelie-Regierung mittlerweile geworden war.
Und wo war die Königin in dieser Krise?
An der Tür klopfte es. »Was ist?«, bellte er.
Ein ängstlicher Analyst kam ins Büro gehuscht und reichte ihm einen Zettel; es war die Zusammenfassung einer Botenfee-Nachricht. Die Analysten hüteten sich, die Depeschen wortwörtlich wiederzugeben; Paets Hass auf Botenfeen war legendär.
Er las das Papier, las es ungläubig ein weiteres Mal. »Schatten!«, brüllte er sodann. »Sofort in mein Büro!«
Silberdun, Eisenfuß und Sela kamen herbei, wie immer ließen sie sich dabei für seinen Geschmack zu viel Zeit.
»Was ist denn jetzt schon wieder los?«, wollte Silberdun wissen.
»Mich erreichte soeben eine Botschaft von deinem Abt Estiane, Silberdun. Der wiederum erhielt eine geradezu ungeheuerliche Nachricht von einer arkadischen Hausangestellten in Mabs Palast.«
»Und?«, fragte Eisenfuß.
»Hy Pezho lebt. Hy Pezho. Der Schwarzkünstler. Der Mann, der die Einszorn schuf, ist am Leben.«
»Aber wir hörten doch aus zahlreichen Quellen, dass er von Mab selbst hingerichtet worden sei«, sagte Eisenfuß.
»Tja, Silberdun ist auch gestorben«, meinte Paet.
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