Schattenspäher
dafür zur Rechenschaft ziehen, wenn ich ihn sehe.«
Silberdun seufzt. »Und was möchtest du von mir?«, fragt er leise.
»Ich möchte, dass du glücklich bist, Perrin. Was denn sonst?«
Am nächsten Morgen sieht er die Kutsche seiner Mutter durch die Stadt davonfahren, und er weiß, dass er sie niemals wiedersehen wird. Zuvor hatte er ihr versichert, dass er die Angelegenheit zwischen sich und Bresun ruhen lassen würde.
Doch sobald die Kutsche außer Sicht ist, geht Silberdun auf direktem Wege zum Büro des Familienanwalts. Er kennt die Strecke gut. Monat für Monat holt er sich hier seine Apanage-Zahlung ab.
»Ihr seid eine Woche zu früh dran«, sagt der Anwalt, als Silberdun in sein Büro stürmt.
»Ich bin wegen einer anderen Sache hier«, sagt Silberdun. »Ich kam, um meine Lordschaft zurückzufordern.«
Der Anwalt schaut ihn aus zusammengekniffenen Augen an und klopft mit seiner langen Feder gegen das Tintenfass, während er nachzudenken scheint. »Ich hab mich schon gefragt, wann ich diese Worte von Euch vernehmen würde«, sagt er schließlich lächelnd.
Silberdun setzt dem Anwalt seinen Plan auseinander, und der Mann hört ihm geduldig zu, stellt Fragen, unterbreitet eigene Vorschläge. Als Silberdun an diesem Tag nach Hause zurückkehrt, fühlt er sich zum ersten Mal seit Langem wieder lebendig.
Es ist Zeit. Zeit, zum Mann zu werden.
Er geht zu Bett und denkt an seine Kindheit zurück, denkt an jenen Tag, als er seiner Mutter hatte zeigen wollen, wie weit er auf der Mauer entlanglaufen konnte. Es ist, als wäre ihm etwas Wichtiges zurückgegeben worden.
Als Silberdun am nächsten Morgen erwacht, stehen vier Königliche Gardisten in seinem Schlafzimmer.
»Perrin Alt, Lord Silberdun«, sagt der eine, während er seinen Text von einem offiziellen Dokument abliest, »Ihr seid hiermit wegen Hochverrats festgenommen.«
»Bitte was?«, witzelt Silberdun. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dieses Verbrechen nicht begangen habe.«
Silberduns nächstes Treffen mit seinem Anwalt verläuft weit weniger freundlich und findet im Gefängnis statt.
»Ich kann nicht glauben, dass Ihr mich dermaßen hintergangen habt«, sagt Silberdun. »Ihr habt doch schon für meinen Vater gearbeitet.« Außer sich vor Wut funkelt er den Anwalt über den kleinen Tisch hinweg an. Er kann sich nicht erinnern, jemals einen solch weißglühenden Zorn in sich gespürt zu haben.
»Ja, ich arbeitete für Euren Vater«, sagt der Anwalt. »Und jetzt arbeite ich für Euren Onkel«, setzte er hinzu, als könnte das seinen Verrat rechtfertigen.
»Und wieso legt man mir gleich Hochverrat zur Last?«, fragt Silberdun. »Ist das nicht ein bisschen überzogen?«
»Ihr habt gestern in meinem Büro Dokumente unterzeichnet, die belegen, dass Ihr seinem rechtmäßigen Besitzer das Eigentum stehlen und es einer Organisation vermachen wollt, welche die Seelie-Souveränität nicht anerkennt. Das ist Hochverrat.«
»Aber der rechtmäßige Besitzer bin ich!«
»Das ist nicht relevant, juristisch gesprochen.«
Silberdun kocht. »Und warum glaubt Ihr einen Richter zu finden, der bei dieser Intrige gegen mich und diesem ›Organisation, welche die Seelie-Souveränität nicht anerkennt‹-Schwachsinn mitspielt? Die Zeiten haben sich geändert.«
»Vielleicht«, sagt der Anwalt. »Aber deshalb haben sich nicht auch alle Richter geändert. Und zufälligerweise ist der Gerichtsbeamte, der entscheidet, welcher Richter welche Verhandlung leitet, ein guter Freund Eures Onkels.«
Man unterbreitet Silberdun ein Angebot. Wenn er sich vor Gericht verantworten will, würde er höchstwahrscheinlich gehängt, wenn er sich jedoch schon im Vorfeld schuldig bekennen würde, käme er mit einer lebenslangen Gefängnisstrafe davon.
Silberdun sitzt in seiner Untersuchungszelle und denkt über diese beiden Möglichkeiten nach, als er einen Brief von seiner Mutter erhält:
Perrin.
Ich wäre gern persönlich gekommen, doch ich bin inzwischen zu schwach, um noch zu reisen, also muss dieser Brief genügen. Dein Onkel hat mich über deine Lage in Kenntnis gesetzt, und mich gebeten, auf dich einzuwirken, auf dass dein Fall nicht vor Gericht verhandelt wird. Das will ich gern tun, wenngleich nicht für ihn. Bresun will kein Aufsehen in dieser Sache und würde sich wünschen, dass du einfach von der Bildfläche verschwindest, ich hingegen wünsche mir einfach, dass du mich überlebst. Und daher bitte ich dich, den Wunsch deiner sterbenden Mutter zu
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