Schattenspäher
das aussprachen, was sie wirklich fühlten.
»Fünf Jahre ist es nun her, dass sich außer mir auch noch ein anderer Schatten in diesem Gebäude aufhielt. Fünf Jahre sind vergangen, seit ich mich aufgrund meiner ... Verletzungen aus dem aktiven Dienst zurückziehen musste. Und die meiste Zeit über stand zu befürchten, dass die Schatten nie wieder in Aktion treten würden.«
Paet stieß mit der Spitze seines Stock gegen die Tischkante. »Die Ereignisse des letzten Jahres jedoch haben der Krone gezeigt, von welcher Wichtigkeit unsere Arbeit ist. Und trotz der Einwände gewisser Mitglieder im Senat, die das, was wir tun, bestenfalls als widerwärtig und schlechtestenfalls als moralisch verwerflich bezeichnen, hat Lord Everess die Königin davon überzeugen können, dass unsere Arbeit fortgesetzt werden muss.«
Everess strahlte. Es hatte mal eine Zeit gegeben, da hatte Sela den Außenminister für naiv gehalten, weil man ihm so leicht schmeicheln konnte, doch inzwischen wusste sie, dass Everess nichts ohne Berechnung sagte oder tat. Er war ein faszinierender Mann.
»Ich weiß«, fuhr Paet fort, »dass man Euch über die Ziele und Wege der Schatten größtenteils im Dunkeln gelassen hat. Dafür gibt es zwei Gründe. Der erste besteht in unseren strengen Regeln, die Verschwiegenheit und Geheimhaltung betreffend. Insofern sprechen wir außerhalb dieses Gebäudes niemals über unsere Missionen oder Strategien. Von dieser Regel gibt es keine Ausnahme. Daher konnten wir Euch gegenüber auch nur Andeutungen über das machen, auf das Ihr Euch eingelassen habt.
Der andere Grund ist«, sagte Paet ohne zu lächeln, »dass Ihr Euch uns vermutlich nie angeschlossen hättet, wenn wir Euch gleich zu Beginn reinen Wein eingeschenkt hätten.«
Silberdun und Eisenfuß feixten. Everess fiel in das Gekicher mit ein. Sela hingegen lachte nicht.
»Das war kein Witz«, sagte Paet. Die allgemeine Belustigung verstummte abrupt.
»Ich will Euch ohne Umschweife sagen, worum es geht«, sagte der Anführer. »Ihr werdet lügen müssen. Und betrügen. Ihr müsst stehlen. Und auch töten, wenn nötig. Ihr werdet an die gefährlichsten Orte der bekannten Welten entsendet. Wenn man Euch schnappt, werden wir in den meisten Fällen leugnen, Euch überhaupt zu kennen. Und gelegentlich wird man Euch Dinge abverlangen, die selbst dem hartgesottensten Faesoldaten unmöglich erscheinen werden. Als Gegenleistung dafür werdet Ihr nur ein wenig Geld erhalten, jedoch nichts im Sinne von Ruhm und Ehre. Ganz im Gegenteil, Ihr werdet mit der Zeit sogar das verlieren, was jeder von Euch unter Ehrgefühl verstehen mag.«
»Zumindest Silberdun dürfte damit wohl kaum ein Problem haben«, ließ sich Everess vernehmen.
Silberdun machte eine unflätige Geste in Richtung Everess. »Bitte fahrt fort«, sagte er zu Paet.
»Um es kurz zu machen«, sagte Paet, offenbar ungehalten über die Unterbrechung, »man hat Euch für die wohl schwierigste Laufbahn rekrutiert, die ein Fae einschlagen kann.«
Eisenfuß räusperte sich. »Und wenn wir nach allem, was wir jetzt gehört haben, zu dem Schluss kommen, dass eine solche ... Laufbahn nun doch nichts für uns ist?«
»Aussteigen ist nicht mehr möglich«, sagte Paet.
»Soll das ein Witz sein?«, fragte Eisenfuß.
»Nein, ich mache keine Witze, und ich würde Euch nicht raten, es drauf ankommen zu lassen. Eine Konsequenz Eurer ... Ausbildung auf Schwarzenstein ist die, dass es für Euch fortan kein Leben außerhalb der Schatten mehr geben kann.«
»Das ist Wahnsinn!«, entfuhr es Silberdun.
»Ich hörte, Ihr habt eine Weile in Crere Sulace zugebracht, Silberdun«, sagte Paet. »Wenn Ihr also meint, ein Leben als Schatten entspräche nun doch nicht Euren Vorstellungen, wie wäre es, wenn Ihr dort ein paar alte Bekanntschaften erneuert? Ich bin mir darüber hinaus ziemlich sicher, dass Everess Euch bei seiner Anwerbung mitgeteilt hat, dass es kein Zurück mehr gibt, wenn Ihr Euch uns erst angeschlossen habt? Oder etwa nicht?«
Everess lächelte kalt. »Ihr wolltet die Besten«, sagte er zu Paet. »Und die Besten hab ich Euch gebracht. Man kommt nicht umhin, sich im Zuge von Rekrutierungen einen gewissen Spielraum vorzubehalten.«
Eine Weile war es totenstill im Raum. Sela konnte Paets Wut spüren. Und Eisenfuß' Bestürzung. Everess verstand es, seine Empfindungen zu verbergen, und so drang nur wenig davon in den außergewöhnlich dünnen Faden zwischen ihm und Sela. Silberdun war gefühlsmäßig nicht zu
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