Schattenspäher
ergründen. Sein Zorn hingegen war unübersehbar.
»Hurensohn«, zischte er. »Hier läuft doch gerade die gleiche Scheiße ab wie damals mit Mauritane.«
»Wie wäre es« schlug Sela fort, »wenn wir Anführer Paet erst mal fortfahren ließen. Was immer die Zukunft auch bringt, wir sind nun mal hier, und es gibt Arbeit zu erledigen, nicht wahr, Anführer Paet?« Während sie sprach, konzentrierte sie sich fest auf die dünnen Bänder, die sie mit Paet und Eisenfuß verbanden. Sie kannte die beiden kaum, hatte demzufolge wenig, mit dem sie arbeiten konnte, wob aber so viel Vertrauen und Akzeptanz wie möglich in die Fäden ein. Es schien zu helfen. Eisenfuß beruhigte sich merklich, und auch Paet schien sich wieder zu entspannen. Silberdun indes starrte sie nur an. Ahnte er womöglich, was sie da machte?
Wohl kaum. Soweit sie wusste, gab es in den ganzen Faelanden niemanden, der zu tun vermochte, was sie tat. Empathie funktionierte gemeinhin nur in eine Richtung, und zwar in Richtung des Empfängers. Und Lord Tanen hatte ihr versichert, dass sie auch in diesem Punkt einzigartig war.
»Wir befinden uns«, sagte Lord Everess in dem Versuch, die Lage wieder in den Griff zu kriegen, »an einem Wendepunkt in der Seelie-Geschichte, der über Wohl und Wehe der gesamten Faelande, wenn nicht der ganzen Welt entscheiden wird.
Nun ist die Zeit gekommen für Stärke und entschlossenes Handeln«, fuhr er fort. »Hier geht's nicht um einen philosophischen Exkurs. Es geht um die Zukunft unseres Landes. Wir haben uns hier versammelt, um uns den Vernichtern unseres Lebensstils in den Weg zu stellen. Und es spricht viel dafür, dass lediglich wir, die wir hier in diesem Raum sitzen, imstande sein werden, diese Vernichtung zu verhindern.«
Everess wandte sich an Eisenfuß. »Sagt ihnen, was Ihr in Selafae gesehen habt, Meister Falores.«
»Eisenfuß reicht völlig, danke«, erwiderte Eisenfuß. »Und ja, Everess hat nicht ganz Unrecht. Ich war im finstren Herzen dessen, was einmal die Stadt Selafae gewesen ist. Wenn es uns gelingen sollte, einen neuerlichen Angriff wie diesen zu verhindern, so ist das wahrlich unser aller Leben wert.«
»Es fällt ein bisschen schwer, in diesem behaglichen Haus zu sitzen und über das Schicksal der Welt zu parlieren«, sagte Silberdun. »Und es ist in keinster Weise tröstlich.«
»Ja, schwer ist es in der Tat«, sagte Paet. »Da habt Ihr verdammt Recht, Silberdun. Und auch Trost ist derzeit keiner zu erwarten. Doch das wird sich ändern.«
Paet sah Silberdun nun direkt in die Augen. »Ja, unsere Aufgabe ist schwierig. Und schmerzvoll. Und tödlich. Aber sie gibt uns die Kraft und die Gelegenheit, das zu tun, was ein einzelner Fae für das Weiterbestehen dieser Welt zu tun vermag. Für mich ist das die Sache wert.«
Paet erhob sich und stützte sich auf seinen Gehstock. »Und so bitte ich Euch, nein, ich flehe Euch an, schließt Euch uns an für diese große Aufgabe.«
Wieder legte sich Stille über den Raum. »Ach, warum eigentlich nicht?«, rief Silberdun plötzlich aus. »Was hab ich denn schon groß zu tun?« Everess lachte laut auf, und Sela fiel mit ein. Eisenfuß warf Sela einen Blick zu, der besagte: Worauf um alles in der Welt haben wir uns da bloß eingelassen?
Das hätte Sela auch gern gewusst.
»Es gibt noch etwas, was wir heute Abend erledigen müssen«, sagte Paet. »Der letzte Schritt zu Eurer endgültigen Aufnahme. Danach werde ich mich persönlich um die Beendigung Eurer Ausbildung kümmern und darüber befinden, wann man Euch zu Eurem ersten Einsatz entsenden kann.«
»Was ist das für ein letzter Schritt?«, wollte Everess wissen.
»Das ist allein eine Angelegenheit zwischen mir und den Schatten«, sagte Paet. »Ich muss Euch daher bitten, nun zu gehen, Lord Everess.«
Everess schien drauf und dran, Paet etwas Unfreundliches an den Kopf zu werfen, doch er riss sich zusammen. »Schätze, diese kleinen Rituale können der Sache nur dienlich sein«, murmelte er.
Er ging zur Treppe und salutierte Sela, Eisenfuß und Silberdun. »Ich entbiete Euch meinen Gruß, Schatten. Dient Eurem Königreich gut.«
Dann nickte er Sela zu. »Paet soll dir eine Kutsche rufen lassen, wenn ihr hier fertig seid, mein Kind. Er wird für die Kosten aufkommen.« Er stieg die Stufen hinauf, und schon bald waren seine Schritte verklungen.
»Kommt bitte alle mit in mein Büro«, sagte Paet.
Nachdem sich die Gruppe dort versammelt hatte, schloss Paet die Tür. Dann holte er ein kleines
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