Schattenspiel
Bellino, sagt zu, das Alibi zu untermauern und bricht kurz darauf im Zeugenstand zusammen, hypernervös, wie er nun einmal ist, voller Angst, ein wirkliches Risiko auf sich zu nehmen. Was trotz allem möglicherweise gut hätte ausgehen können für Steve und seinen Bruder, wird nun zur Katastrophe. Steve Marlowe wird des Meineids beschuldigt, gesteht und erhält zwei Jahre Gefängnis. Unbarmherzig wird das für alle Zeiten in seinen Papieren vermerkt sein, das Aus für die Karriere. Und Steve Marlowe, dieser weiche, sensible junge Mann ist nicht der Mensch, der den Kampf gegen das Schicksal aufnimmt. Er geht darin unter.
Natalie Quint. Kelly mochte ihr Gesicht. Intelligent, aufmerksam, konzentriert. Zweifellos eine hochbegabte, sehr interessante Frau. Aber mit dem Valium (sie hatte eingeräumt, eine ganze Menge davon zu schlucken) würde sie sich zugrunde richten. Sie hatte seit dem Blutbad von Crantock ihre Nerven nicht mehr unter Kontrolle und schaffte es nur mit Hilfe der Tabletten, ihrer Phobien Herr zu werden. Er stellte sie sich als Kind vor: geistig frühreif und ständig im Kampf mit ihrer oberflächlichen, vergnügungssüchtigen Mutter. Daneben der freundliche Vater, der sich aber nur für Hunde und Pferde interessierte. Ein mit den besten Fähigkeiten ausgestattetes kleines Mädchen auf einem abgelegenen Landsitz mit hohen, zugigen Räumen, kalten Kaminen und endlosen Reihen von Ahnenbildern an den Wänden. Hatte sie sich einsam gefühlt, unverstanden? Nun, wie auch immer, eine Natalie Quint zerbrach nicht daran. Sie machte ihren Weg, unbeirrt und selbstsicher. Erst als sie in die Hölle blickte, als sie das Grauen am eigenen Leib erfuhr, ging sie in die Knie. Sie stand wieder auf, aber nur mit Hilfe des Teufelszeugs,
das sie vermutlich in immer höheren Dosen schluckte. Was hatte sie empfunden in jener Nacht, als David davonfuhr und sie zurückließ? Konnte eine Frau wie sie das verzeihen?
Ja, und dann war da noch Gina Loret, die heutige Lady Artany Die schönste von allen, eine stolze, mutige, willensstarke Frau. Trotzdem war die Angst in ihr Leben getreten. Sie liebte einen Mann, der ehrgeizig und entschlossen seine Karriere plante, und sie wußte, daß sie ihren Teil dazu beitragen mußte. John Eastley hatte das höchste Amt angestrebt, das die Vereinigten Staaten von Amerika zu vergeben hatten. Der gutaussehende Anwalt aus Los Angeles mit den zahlreichen Verbindungen zu einflußreichen Bereichen der Wirtschaft in aller Welt wollte ins Weiße Haus. Ohne Zweifel, er hatte Gina geliebt. Aber wie sicher konnte sie sein, was er im Zweifelsfall geopfert hätte? Seine Karriere oder seine Frau?
»Er hat ihr Angst eingejagt, dieser David Bellino«, murmelte Kelly, »sie wußte, wenn er den Mund nicht hält über das Zwischenspiel in St. Brevin, würde der alte Eastley mit aller Gewalt die Trennung von John betreiben. Sich dem auszuliefern, war sie zu stolz. Deshalb beschloß sie, vorläufig freiwillig auf eine Heirat zu verzichten – um im Katastrophenfall nicht durch den schmutzigen Wirbel einer Scheidung gehen zu müssen. Wahrscheinlich ganz typisch für diese unabhängige junge Frau.«
Er sah die Bilder ihres Lebens wie in einem Reigen vor seinen Augen vorüberziehen: Das dunkelhaarige Kind, das mit seinen reichlich exaltierten Eltern durch die ganze Welt reiste, von einem Tummelplatz des Jet-Set zum nächsten. Der aufsässige Teenager im Haus seiner kleinbürgerlichen Tante Joyce. Das bildschöne Mädchen im Elite-Internat, zwischen Tennisstunden, Konzertbesuchen und dem ungeliebten Verehrer Charles Artany. Die zähe, lebenshungrige junge Frau, die in einer primitiven Absteige in Manhattan hauste und Bilder eines drittklassigen Malers verkaufte. Gina in Los Angeles – Reichtum und Luxus. Wahrhaftig ein Leben, das abwechslungsreich war in seinem ewigen Auf und Ab. Vielleicht wäre sie eines Tages wirklich im Weißen Haus gelandet. Wer wußte es bei dieser Frau?
Es wurde an die Tür geklopft, und als Inspektor Kelly »Herein« rief, trat Laura Hart ins Zimmer. Sie hatte sich umgezogen und sah in dem knöchellangen, weinroten Hauskleid aus Samt, eine eindrucksvolle Sammlung von Rubinen an Hals und Armen, sehr luxuriös aus – wohingegen sie vorhin in den alten Jeans, mit ungekämmtem Haar und ungeschminktem Gesicht ein ganz normales junges Mädchen gewesen war. Diesmal tritt sie in Verkleidung auf, dachte Kelly bei sich. »Warum sind Sie nicht bei den anderen?« fragte er. Laura verzog das Gesicht.
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