Schattenspiel
wissen genausogut wie ich, daß schon zwölfjährige Kinder morden.«
»Na ja...«, murmelte Laura unbestimmt. Sie wirkte unruhig, kippte ihren Schnaps hinunter und bewegte nervös die Finger.
Kelly beobachtete sie genau. Er stand auf. »Eines«, sagte er, »hätte ich gern noch gewußt, nachdem Sie mir so klare Charakteranalysen unserer vier Verdächtigen geliefert haben. Wie war David Bellino? Wer war er?«
Laura verzog kaum merklich das Gesicht. »Er war bemerkenswert unsensibel. Und durch und durch ein Egozentriker.«
»Ist das alles? Ich meine, mehr haben Sie nicht über ihn zu sagen?«
»Das ist vielleicht das Wesentlichste an ihm.«
»So.« Er sah sie scharf an. »Ich glaube aber, daß Sie mehr von ihm wissen, Miss Hart. Sie sind nicht die Frau, die zwei Jahre lang mit einem Mann lebt und dabei nicht ein bißchen tiefer sieht. Wie war beispielsweise sein Verhältnis zu Ihnen?«
»Er hat mich geliebt.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja. So, wie David Bellino lieben konnte, hat er mich geliebt. Aber er hat alles falsch gemacht. Er hat mich so behandelt, daß ich eigentlich nur noch weg wollte.«
»Wie hat er sie behandelt?«
Laura seufzte und lehnte sich zurück. »Ich fürchte, das ist alles ziemlich kompliziert, Inspektor. Sehen Sie, David Bellino hat im Grunde sein ganzes Leben lang danach gehungert, geliebt zu werden. Nicht auf diese närrische, ungesunde, neurotische Art, mit der ihn seine Mutter und Andreas Bredow vergötterten. Er wollte einfach als der David geliebt werden, der er war – der snobistische David mit seiner Leidenschaft für schnelle Autos und elegante Anzüge und eine Menge Pomp und Prunk. Sie haben ihn als Kind so fertiggemacht mit den ungeheuren Ansprüchen, die sie an ihn stellten, daß er zu einem völlig unsicheren Menschen voller Selbstzweifel wurde – meiner Ansicht nach auch voller Selbsthaß.«
»Selbsthaß?«
»Ja. Er hat sich dafür gehaßt, daß er nicht das war, was sie wollten. Er hat alle seine Schwächen gehaßt. Und je mehr er sie gehaßt hat, desto verzweifelter hat er an ihnen festgehalten. Er wollte so wahnsinnig gerne er selber sein.«
Kelly nickte. »Und er brauchte Liebe als Selbstbestätigung.«
»Ja. Aber das hat nie funktioniert. Bevor er mich traf, hat er die Frauen wochenweise gewechselt.«
»Woran lag das?«
»Eine Frau war für David nicht eine Partnerin, ein freier, eigener Mensch, der neben ihm existiert. Eine Frau war sein Besitz. Ganz und gar. Entsprechend hat er sich verhalten – er bot ihnen den Himmel auf Erden und machte sie dabei zu Sklavinnen, und das ging eben nicht.«
»Und wie war das bei Ihnen?«
»Ich glaube, ich erschien ihm als Lösung seiner Probleme. Ich war das, was er immer gesucht hatte: Ein sehr junges, ziemlich verstörtes, schüchternes und unsicheres Mädchen. Hinter mir
lag alles Grauen, das Armut und eine kaputte Familie für ein Kind bereithalten können. Ich gehörte nicht zu den schicken, selbstbewußten Dämchen, die er bis dahin hatte, diese forschen Mädels, die nicht im Traum daran denken, sich auch nur im mindesten den Wünschen eines Mannes zu unterwerfen. Ich war ausgehungert nach Geborgenheit, Zärtlichkeit, danach, gehegt und gepflegt zu werden, mich an jemandem festhalten zu können. Alle seine Wärme sog ich in mich auf, und er fing an, mich wie verrückt zu lieben, weil ich nicht gegen ihn aufbegehrte. Er war zu unsicher, um eine emanzipierte Frau ertragen zu können. Aber schließlich...«
»Ja?«
»Ich habe nie eine gute Schule besucht, Inspektor, und ich komme wirklich aus der Gosse, aber ich bin eine vergleichsweise intelligente Person. Es konnte einfach nicht gutgehen. Letztlich eignete auch ich mich nicht für die Rolle einer Eliza Doolittle.«
Kelly nickte. Sie war nicht nur eine vergleichsweise, sie war sogar eine sehr intelligente Person. Sie hatte sich in äußerst kurzer Zeit relativ viel Bildung angeeignet und von Anfang an hatten ihn ihre wachen, klugen Augen fasziniert.
»Zum Schluß«, fuhr sie fort, »zum Schluß hatten wir uns in eine unerträgliche Situation manövriert: Er hatte begriffen, daß ich drauf und dran war, mich seinem Einfluß zu entziehen, aber er wußte, wo er mich kriegen konnte: Bei meiner Angst vor der Armut. Er sagte, ohne ihn würde ich dahin zurückkehren müssen, wo ich hergekommen bin, und mit dieser Drohung quälte er mich und hielt mich bei der Stange. Ich zitterte vor Angst und blieb still. Er tyrannisierte mich aus Liebe, und ich ließ mich tyrannisieren
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