Schattenspiel
zurückkamen. Ihr wart oben in Nats Zimmer, und... lieber Himmel, nun sieh mich nicht so an! Ich wollte euch ja nicht nachspionieren, ich wollte euch eigentlich nur sagen, daß wir wieder da sind. Natürlich habe ich angeklopft, aber ihr habt es nicht gehört, und da ich nicht erwartete, euch in... einer verfänglichen Situation anzutreffen, bin ich einfach so reingekommen. Ihr habt auch das nicht bemerkt.«
Wenn es ein Anflug von Bosheit gewesen war, was ihn bewogen hatte, von St. Brevin zu sprechen, so bereute er es inzwischen. Seine Stimme klang aufrichtig bekümmert, als er hinzufügte : »Verdammt, ich hätte es nicht sagen sollen. Ich habe nicht nachgedacht. Gina, laß das nicht von nun an zwischen uns stehen, ich bitte dich darum!«
Mitwisser, dachte sie zornig, dürfen nicht auf Sympathie hoffen. Noch immer lehnte sie in der Tür und blickte hinaus in den leuchtenden Abend. »Hast du irgend etwas?« hatte John gefragt. Sie hätte ihm so gern geantwortet. Aber sie konnte nicht, sie konnte es ihm nicht sagen. Was war schon geschehen? Zwei junge Mädchen und die Versuchung eines Augenblicks. Was bedeutete das schon?
Für mich nichts. Für mich überhaupt nichts. Aber die anderen hatten ein Wort dafür: lesbische Liebe nannten sie es, und Toleranz dem gegenüber gab es bei vielen nur theoretisch. Und hier in Amerika nur bei wenigen. Die Frau eines Politikers hatte makellos zu sein, in der Neuen Welt mehr als irgendwo sonst. Die perfekte Frau für John Eastley...mit lesbischer Vergangenheit... unmöglich!
David - – der berühmte Schatten auf dem Paradies.
Auf einmal bereitete ihr das Blühen und Duften ringsum
Kopfweh. Das alte Leben hatte sie eingeholt und stellte alles in Frage.
Sie dachte daran, was John gestern abend gesagt hatte, was er in der letzten Zeit immer öfter sagte: »Ich möchte, daß wir bald heiraten, Gina.«
Noch nicht, ging es ihr nun nervös durch den Kopf, noch nicht. Du könntest es bereuen, John.
Sie schloß die Verandatür – noch nie hatte sie das im Sommer getan, immer blieb sie die ganze Nacht hindurch offenstehen – und ging ins Zimmer zurück. Als sie am Spiegel vorbeikam, erschrak sie: Es war ihr, als blicke die kleine Gina Loret sie aus großen, erschrockenen Kinderaugen an.
New York, 29. 12. 1989
Der Abend war längst hereingebrochen, es schneite noch immer. Inspektor Kelly hatte sich in das Arbeitszimmer des toten David Bellino zurückgezogen und den Ordner mit den Aufzeichnungen vor sich auf den Tisch gelegt. Er hatte ein paar ganz interessante Dinge daraus erfahren, und auch Gina, Nat und die anderen hatten ihm, zögernd zwar und widerwillig, einige Informationen gegeben. Inspektor Kelly kannte weder alle Gedanken noch die Gefühle der an den Geschichten Beteiligten, außerdem hatte er natürlich von verschiedenen intimen Details keine Ahnung. Aber er hatte Kenntnis von einer ganzen Reihe Fakten, und zusammen ergaben sie bereits recht klare Bilder. In Gedanken faßte er noch einmal zusammen: Die arme, kleine Mary Brown mit dem spitzen Gesicht und dem Gebaren einer furchtsamen Maus. Sie hatte es schwer gehabt als Kind, früh die Mutter verloren, war dann ganz unter der Fuchtel ihres tyrannischen und bigotten Vaters aufgewachsen. Als David Bellino sie damals im »Paradise lost« im Stich ließ, hatte er natürlich keine Ahnung, was er damit auslöste, aber die Kette von Ereignissen, die sich dann anschloß, hatte Mary in eine ausweglose Situation manövriert. Mit siebzehn Jahren schwanger von einem charmanten und leichtsinnigen Lebemann, in einer Ehe gelandet, die vom Vater arrangiert worden war, hatte sie es inzwischen aufgegeben, auf eine glückliche Wendung der Dinge zu hoffen. Unglücklicherweise war sie eben auch genau der Typ, der sich so ausweglos verstrickte. Hundert anderen Mädchen wären aus der Geschichte in dem Londoner Nachtclub überhaupt keine Schwierigkeiten erwachsen, aber Mary hätte es nicht passieren dürfen. Das kleine Mädchen, das von einem Garten voller Blumen geträumt hatte... Kelly seufzte.
Steve Marlowe. Der Mann mit der verkrachten Existenz. Sohn reicher Eltern, verzärteltes Kind seiner schönen, eleganten Mutter. Die Karriere in einem der renommiertesten Bankhäuser Londons war ihm sicher. Wäre da nicht der Bruder, der für die IRA mordet. Wäre da nicht jener 5. Juli 1979, an dem Alan Marlowe Steve in Nantes trifft und um ein Alibi bittet. Und dann, als sei die Situation nicht ohnehin brenzlig genug, kommt auch noch David
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