Schattenspiel
»Das sind nicht meine Freunde, ich gehöre nicht zu ihnen. Außerdem ist gerade das Abendessen serviert worden, und ich habe weiß Gott keinen Hunger.« Sie trat an die Bar und schenkte sich einen Schnaps ein. »Möchten Sie auch einen, Herr Inspektor?«
Kelly schüttelte den Kopf. »Nein danke. Was führt Sie zu mir, Miss Hart?«
»Ich fand das eben alles recht interessant. Eigenartige Menschen, die Freunde von David. Das heißt, er hatte ja gar nicht mehr viel mit ihnen zu tun. Was glauben Sie, wer von denen hat ihm umgebracht?«
»Sind Sie so sicher, daß es einer von ihnen war?«
Sie trank ihren Schnaps in einem Zug aus, blieb mitten im Zimmer stehen. »Sie nicht?«
»Bis jetzt habe ich noch keinen Beweis entdeckt. Aber vielleicht haben Sie etwas herausgefunden?« Er sah Laura abwartend an. Sie setzte sich ihm gegenüber an den Schreibtisch, schlug die Beine übereinander. Im Schein der Lampe blitzte ihr Schmuck. Wahrscheinlich hat sie ungefähr hunderttausend Dollar an sich hängen, dachte Kelly. »Wie sehen Sie denn Davids Freunde?« fragte er.
Lauras Antwort kam schnell und ohne Zögern. »Diese Mary Gordon ist eine richtige graue Maus. Kein Pepp, kein Mut. Eine, die sich ihr Leben von anderen diktieren läßt und nachher jämmerlich weint, wenn die Dinge anders aussehen, als sie sich das vorstellt. Jahrelang angestaute Aggressionen können solch einen Menschen leicht zum Mord treiben.«
Sie redet, als durchschaue sie alles ganz genau, dachte Kelly amüsiert, aber sie ist ein ganz gescheites kleines Ding.
»Steve Marlowe ist ein Waschlappen«, fuhr Laura fort, »absolut unfähig, sich und sein Leben in den Griff zu kriegen. Und sein Gesichtsausdruck – Himmel, wie ein geprügelter Hund sieht er einen ständig an. Ich, der arme Steve! Wie ist doch das Leben gemein zu mir gewesen! Was hat mir das Schicksal alles angetan! Er badet im Selbstmitleid, und ich finde das einfach unerträglich. «
»Sie sind ziemlich erbarmungslos, Miss Hart.«
»Ich kann Menschen nicht ausstehen, die sich ständig beklagen. Sie wissen, ich komme aus der Bronx, und wenn ich Ihnen von meiner Kindheit erzählen würde, könnten Sie sehen, daß ich auch verdammt gute Gründe hätte, mich zu bedauern. Mehr Gründe als die anderen alle zusammen. Aber wenn ich meine Zeit damit vergeudet hätte, wäre ich heute wahrscheinlich immer noch da unten im Dreck. Statt dessen...« Sie lächelte, ein seltsam verletzliches Lächeln, und ihr Schmuck glitzerte.
Kelly nickte. »Verstehe. Fahren Sie fort.«
»Diese Natalie Quint ist eine kluge Frau. Eine sehr, sehr kluge Frau. Ich bewundere sie, weil ich Intelligenz immer mehr bewundert habe als alles andere. Aber sie nimmt irgendein Zeug, irgendein starkes Beruhigungsmittel, und meiner Ansicht nach ist sie vollkommen abhängig davon. Schade um sie. Aber wenigstens jammert sie nicht.«
»Und was halten Sie von Gina Artany?«
»Sie ist schön. Und stark. Sie ist nicht so... so intellektuell wie Natalie, aber sie hat eine Menge Verstand, und ich glaube, einen ganz gesunden Realitätssinn. Sie gehört zu den Menschen, die stets irgendwie auf die Füße fallen.« Nachdenklich fügte sie hinzu: »Eigentlich mag ich sie ganz gern. Ich denke, sie spielt mit hohem Einsatz und riskiert hohe Verluste. Sie drückt sich nicht.«
Kelly nickte langsam. »So sehen Sie das also. Dann verraten Sie mir auch noch: Wer ist Ihrer Ansicht nach David Bellinos Mörder?«
Laura stand auf, nahm sich noch einen Schnaps. Als sie sich
wieder setzte, drückte ihr Gesicht vollkommene Ratlosigkeit aus. »Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß nur: Zutrauen würde ich es jedem von ihnen.«
»Es besteht ja immer noch die Möglichkeit, daß die Einbrecher Bellino erschossen haben, nicht wahr?«
»Nein!« erwiderte Laura scharf.
Kelly zog die Augenbrauen hoch. »Nein? Weshalb schließen Sie das mit solcher Entschiedenheit aus?«
»Nun... weil... warum sollten sie das tun? Und wo ist das Motiv?«
»Ganz einfach: Bellino hat sie überrascht.«
»Das waren halbe Kinder«, sagte Laura. »Ich habe ihnen ja die Tür aufgemacht. Blutjunge Kerle. Keine Mörder.«
»Diese blutjungen Kerle haben Sie blitzschnell überwältigt und gefesselt. Und zwar so geschickt – und vermutlich routiniert – , daß Sie nicht einmal schreien konnten. Ganz schön clever, diese halben Kinder, finden Sie nicht?«
»Ich denke...«
»Sie kommen aus der Bronx, Miss Hart. Sie kennen die düsteren Seiten von Manhattan. Sie
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