Schattenspiel
sie nahm wieder einen sehr tiefen Zug aus ihrer Zigarette, »man hat mir einen Job beim Fernsehen angeboten. Die BBC will mich als Moderatorin für eine Talk-Show. Es ist eine große Chance für mich, möglicherweise meine letzte nach allem, was ich mir geleistet habe. Es darf nichts schiefgehen!«
Dr. Parker sagte ernst: »Ein Fernsehstudio ist natürlich nicht unbedingt das Richtige für Sie, das wissen Sie sicher selber. Es ist
heiß und eng dort, viele Menschen, Kameras, meist keine Fenster. Sie sollten sich sehr genau überlegen, ob Sie...«
»Mein Beruf war mein Leben, Dr. Parker. Das heißt, er ist es noch. Ich lebe für meine Karriere als Journalistin. Wenn ich je von etwas geträumt habe, dann davon. Ich kann und will das nicht aufgeben, nur weil ich das Pech hatte, verrückten Sektierern in die Hände zu fallen. Dr. Parker«, ihre Stimme klang wie Glas, »wenn Sie mir das Valium nicht verschreiben, gehe ich zu einem anderen Arzt. Irgendeinen werde ich finden, der mir ein Rezept ausstellt!«
»Es geht ja nicht darum, daß ich es Ihnen grundsätzlich verweigern will. Das wissen Sie auch. Ich lasse Sie seit zwölf Monaten täglich zehn Milligramm Valium nehmen. Aber ich will diese Dosis nicht steigern, weil sich das Risiko, daß Sie abhängig werden, damit erhöht.«
»Ich brauche aber mehr.«
»Guter Gott! Wissen Sie, daß Sie dann kaum mehr runterkommen davon?« Dr. Parker raufte sich die Haare. Er sah in das harte, entschlossene Gesicht auf der anderen Seite des Tisches und begriff, Natalie würde nicht nachgeben. »Okay Okay, dann verschreibe ich Ihnen etwas mehr. Aber nicht zuviel, und versuchen Sie nicht, mich zu überreden. Und außerdem nehmen Sie jede Woche drei Stunden bei mir!«
»Zwei. Mehr Zeit habe ich nicht.«
Sie sahen einander an. Mit einer unbeherrschten Bewegung riß der Arzt einen Zettel von seinem Rezeptblock. »Gut. Zwei Stunden. Aber die regelmäßig.«
»Natürlich«, sagte Natalie. Sie verstaute das Rezept in ihrer Handtasche und stand auf. »Danke, Doktor. Ich glaube, so kann ich es schaffen.«
Dr. Parker reichte ihr die Hand zum Abschied. Er dachte bei sich, sie wird es schaffen, aber sie wird einen ziemlich hohen Preis dafür zu zahlen haben.
Als Steve aus dem Gefängnis kam, hatte er das Gefühl, um Jahrzehnte älter geworden zu sein, und fast wunderte es ihn, London
unverändert vorzufinden und festzustellen, daß es noch immer einen Himmel, Blumen und Bäume gab. In den Parks blühten die Rosen, es war ein heißer Hochsommertag.
Steve war auf dem Weg zur Wentworth & Davidson Bank in der Fleet Street. Er trug seinen besten Anzug von früher, eine dunkelblaue Krawatte, und er war am Tag zuvor noch beim Friseur gewesen. Er sah so adrett aus, daß ihn ein paar Skinheads, die seinen Weg kreuzten, grob anrempelten und ihm obszöne Worte nachriefen. Steve merkte, wie ihm der Schweiß ausbrach, er lockerte seine Krawatte und betupfte mit einem Taschentuch seine Stirn. Diese verdammte Unsicherheit, die ihn nicht mehr verließ. Direkt nach seiner Entlassung war er in ein Hotel gegangen und hatte Schaumbäder genommen, geduscht und seinen Körper mit wohlriechenden Essenzen eingerieben. Es half nichts. Er fühlte sich nachher genauso schmutzig wie vorher, schmeckte noch immer den verkochten Gefängnisfraß auf der Zunge, hatte die obszönen Schmierereien über den Toiletten vor Augen und hörte in der Nacht das Gestöhne aus der Nachbarzelle, wo es zwei Männer miteinander trieben. Er dachte verzweifelt : Ich werde es für immer mit mir herumtragen.
Die Sekretärin von Jack Wentworth hatte ihm nur widerwillig den Termin für ein Vorstellungsgespräch gegeben. Steve mußte betteln, aber im Gefängnis hatte er so oft um den kleinsten Vorteil betteln müssen, daß er fast schon eine gewisse Routine darin besaß. »Ich war ja schon so gut wie eingestellt, vor... vor zwei Jahren. Man wollte mir den Ausbildungsvertrag bereits zusenden. Bitte, geben Sie mir eine Chance. Es... hat sich bei mir ja nichts geändert.«
»Mr. Marlowe...« Die Sekretärin war eine taktvolle Person. Sie mochte nicht aussprechen, was sich in seinem Leben geändert hatte, aber zweifellos lag es ihr auf der Zunge. Sie wand sich vor Verlegenheit, und nur ihrem Unbehagen war es wohl zu verdanken, daß sie ihm schließlich einen Termin gab. Sie sah es als die einzige Möglichkeit an, das Gespräch zu beenden. »Na ja, dann in Gottes Namen, morgen um vier Uhr ist Mr. Wentworth noch frei.«
Es war ein
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