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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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altehrwürdiges Institut, die Wentworth & Davidson Bank. Trat man durch die mit schweren goldenen Griffen versehene Drehtür, wehte einem sofort ein etwas staubiger, aber äußerst gediegener, vertrauenerweckender und respektgebietender Duft entgegen. Wentworth & Davidson waren wie Großbritannien, konservativ, stolz, traditionsbewußt und unbestechlich. Steve fühlte sich wie ein Gammler, der den Buckingham Palast betritt: ganz und gar fehl am Platz.
    Mr. Wentworths’ Sekretärin, eine energische, ältliche Blondine im türkisfarbenen Baumwollkleid, lächelte verbindlich, als sich Steve vorstellte, und wies ihn an, noch einen Moment Platz zu nehmen. Steve merkte, wie seine Kehle eng wurde. Unauffällig zupfte er an den Ärmeln seines Jacketts, zog sie hinunter bis halb über die Hände. Auf keinen Fall durfte jemand die Narben auf seinen Handgelenken sehen.
    Im Nebenzimmer klapperte eine Schreibmaschine, gedämpft klangen Stimmen vom Gang her. Eine Atmosphäre der Wohlanständigkeit... früher hatte ihn das nicht erschreckt, im Gegenteil. Genau hierhin hätte er gepaßt. Aber jetzt war dies nicht mehr seine Welt, und er fragte sich, ob man aus dem Gefängnis nie wirklich zurückkehren könnte.
    Nach einer Stunde erschien die Sekretärin und teilte Steve kühl mit, Mr. Wentworth sei jetzt bereit, ihn zu empfangen. Steve wußte, daß seine Stirn vor Schweiß glänzen mußte, aber er wagte nicht, sein Taschentuch vorzuziehen. Es war ihm nie passiert, daß er nicht wußte, wohin mit seinen Händen, aber als er jetzt das Allerheiligste des Jack Wentworth betrat, war er sich seiner Arme und Beine nur allzu bewußt. Er hatte den Eindruck, als bewege er sich wie eine ungelenke Marionette, die von einem schlechten Spieler geführt wird. Sein erster Blick fiel auf das lebensgroße Porträt des Benjamin Wentworth, Urgroßvater des heutigen Mr. Wentworth und Gründer der Bank. Seine Miene sagte, daß es leichter sein mußte, einen Felsen zu erweichen als ihn.
    Mit dem zweiten Blick nahm er den Nachfahren wahr, der unter dem Bild stand, und er begriff sofort: Mr. Jack Wentworth
gab sich mit Gewinnern ab, nicht mit Verlierern. Daß er ihn heute empfing, hing mit einem letzten Rest von Höflichkeit zusammen, den er dem Steve von einst und dessen Vater zollte.
    Er erhob sich, streckte seinem Besucher aber nicht die Hand hin. »Nehmen Sie doch bitte Platz, Mr. Marlowe. Ich habe leider nicht viel Zeit, aber...«Der Satz blieb in der Luft hängen. Steve setzte sich; er merkte, daß er zu schnell atmete und einen ungünstigen Eindruck machen mußte. »Mr. Wentworth, ich will Ihnen wirklich nicht zuviel Zeit stehlen...«
    Wie stickig es hier war!
    In Mr. Wentworths Gesicht war kein Lächeln. »Wissen Sie, Mr. Marlowe, ich fürchte, ich werde nichts für Sie tun können.«
    Mit zitternden Fingern kramte Steve sein Taschentuch hervor, tupfte sich die schweißnasse Stirn ab. Das Gespräch, er wußte es, war entschieden, noch ehe es begonnen hatte.
     
    Peter Gordon hatte zwei Leidenschaften: Er sah sich für sein Leben gern Fußballspiele und Pferderennen im Fernsehen an. Und er saß stundenlang in seiner Stammkneipe, nur wenige Schritte von seiner Wohnung entfernt, mit seinen Kumpels zusammen, trank ein Bier nach dem anderen und schimpfte auf die Politiker. Seine ehemals dritte Leidenschaft, mit Mary ins Bett zu gehen, war abgekühlt. Meistens war er einfach zu faul oder zu betrunken, außerdem fand er sie wirklich nicht reizvoll. Er mochte vollbusige Blondinen mit einem ordinären Touch, die zarte, kleine rothaarige Mary war überhaupt nicht sein Fall. Da kaufte er sich lieber irgendein Pornomagazin und schloß sich damit im Bad ein. Ohnehin führte sich Mary immer so zickig auf, weil er angeblich nicht zärtlich, nicht sanft und rücksichtsvoll genug war. Wollte immer mit Samthandschuhen angefaßt werden, hatte keinen blassen Schimmer davon, daß ein Mann auch einmal richtig zupacken will.
    Was Mary anging, so registrierte sie die Veränderung zunächst mit Erleichterung. Es hatte ihr nie Spaß gemacht, mit Peter ins Bett zu gehen. Aber dann wurde es Sommer, der Sommer,
in dem die kleine Cathy zwei Jahre alt wurde und mehr und mehr ins Freie drängte, und die Situation war noch grauer, noch trostloser als sonst. Es war ein heißer Sommer, heißer und trockener als die Sommer für gewöhnlich in England sind, und auf einmal erschien ihr alles noch unerträglicher. Stickig und dumpf lastete die Luft in der kleinen Wohnung, der Zug

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