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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Gina beschloß, einen Spaziergang mit Lord zu machen. Das Laufen durch die frische, klare Luft, die sich nur langsam erwärmte, tat ihr gut. Das seltsame Gefühl der inneren Angespanntheit löste sich etwas. Sie blieb stehen und sah Lord zu, der aus einer klaren Quelle gierig Wasser schlabberte. Johns Verhalten beunruhigte sie sehr. Sie hatte ihn immer nur ruhig und beherrscht erlebt, und jetzt kam er ihr auf einmal fremd vor. Wenn er in Angst um seine Karriere geriet, nahm er einen Ausdruck an, der ihr nicht gefiel. Verkrampft, übernervös, zu allem bereit.
    »Lord!« rief sie und kehrte um. Solche Gedanken führten zu nichts.
    Zurück auf der Farm, fand sie einen aufgeregten John vor. »Max und Clarisse waren da«, berichtete er, »und ich dachte schon, sie wollten überhaupt nicht mehr gehen. Max fing an, einen endlosen Vortrag über Pferde zu halten, und Clarisse machte Anstalten, das Haus zu putzen. Ich sagte ihr, das sei wirklich nicht nötig, und ich glaube, sie ist jetzt gekränkt. Sie hat einen riesengroßen Obstkuchen für uns gebacken, er steht in der Küche. Die beiden sind rührend, aber...« Er fuhr sich mit allen zehn Fingern durch die Haare. »Hoffentlich war ich nicht zu unfreundlich mit ihnen«, murmelte er.
    Genau das befürchtete Gina. Sie ging ins Haus und rief Clarisse an, um sich für den Kuchen zu bedanken und ein paar freundliche Worte zu sagen. Als sie in die Küche trat, sah sie, wie John an dem Kasten mit Sicherungen herumfummelte.
    »Was tust du?«
    »Ich setze die Alarmanlage außer Betrieb. Stell dir vor, Gipsy berührt aus Versehen den Zaun der Pferdekoppel! Innerhalb der nächsten fünf Minuten hätten wir Max hier, das Gewehr im Anschlag, bereit, seine Rösser zu verteidigen.«
    Im gleichen Moment klingelte das Telefon. Es war Max, der es bei sich im Haus läuten hören konnte, wenn auf der Farm die Anlage ausgeschaltet wurde. Argwöhnisch erkundigte er sich, was los sei. Mit Engelsgeduld erklärte ihm John, er sei der Ansicht, der Alarm müsse nicht ständig eingeschaltet sein, solange
er und Gina sich auf der Farm aufhielten. »Unser Hund streift ständig am Zaun entlang. Ich möchte nicht, daß er aus Versehen den Mechanismus auslöst ...«
    »Natürlich. Ich habe mir auch nur Sorgen gemacht, weil ich dachte, Sie wollten vielleicht zu den Pferden gehen. Mit dem Schwarzen ist nicht zu spaßen...«
    »Ja, Sie sagten es bereits«, entgegnete John mühsam beherrscht. »Vielen Dank, Max. Auf Wiedersehen.« Er hängte ein und wandte sich an Gina. »Man dürfte nicht im Zeitalter der Elektronik leben! Alles ist überwacht. Warum konnten wir nicht im Wilden Westen steckenbleiben? Ich...« Er brach ab und lauschte hinaus. »Ein Auto! Hörst du es? Das muß das Taxi sein! « Er war sehr blaß geworden.
    »Das ist Gipsy«, sagte er.
    6
    »Und Sie sind also die Frau, mit der John lebt«, sagte Gipsy lächelnd und musterte Gina ungeniert von Kopf bis Fuß. »Was für ein schönes, schönes Mädchen! John ist ein Glückskind, das habe ich immer gesagt.«
    Gina versuchte durch den Mund zu atmen, um dem Gestank dieses Menschen zu entgehen. Trotz der Hitze des Tages spürte sie eine Gänsehaut auf Armen und Beinen. Sie verstand auf einmal, warum John mit solchem Grauen von Gipsy gesprochen hatte. Dieses haßzerfressene kleine Gesicht. Das höhnische Lächeln. Die absurde Häßlichkeit, der Gestank dieses Menschen. Mensch? So konnte man ihn kaum noch nennen, das war ein... nimm dich zusammen, Gina, befahl sie sich. Er ist todkrank, das Leben hat ihn zerstört. Hör auf, ihn so zu verachten.
    »Möchten Sie sich nicht setzen, Mr....« Wie hieß er noch? Hatte John seinen Namen überhaupt genannt?
    »Gipsy. Sagen Sie Gipsy zu mir. Ja, wo wollen wir uns setzen? Dort?« Er wies auf die schattige Veranda und setzte sich gleich
darauf in Bewegung. Gina sah sich nach John um, der noch immer mit dem Taxifahrer verhandelte. Sie hatten beschlossen, den Fahrer in die Gaststätte des nächsten Ortes zu schicken, dort sollte er auf ihre Kosten essen und trinken und warten, bis sie ihn wieder anriefen. Dann konnte er Gipsy gleich wieder mit zum Flughafen nehmen.
    Gipsy ließ sich in einen der Korbsessel fallen und streckte die Beine von sich. »Haben Sie ’was zu trinken für mich, junge Frau?«
    »Natürlich. Was möchten Sie? Wasser? Saft?«
    »Ein schönes, kaltes Bier, wenn es geht, das wäre jetzt das Richtige.« Er wollte Lord streicheln, der vorsichtig an ihn herangekommen war, aber der Hund knurrte und

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