Schattenspiel
wich zurück. Sofort war Gipsy wieder voller Wut. »Hunde, die beißen, gehören erschossen! « fuhr er Gina an.
»Er hat Sie ja gar nicht gebissen!« Und in Gedanken setzte sie hinzu: Das arme Tier hat eben eine sehr empfindliche Nase.
Als sie mit dem Bier und den drei Gläsern wieder auf die Veranda kam, war der Taxifahrer weg, und John kam gerade die Stufen hinauf, langsam und gequält. Für einen Moment stand er im Zwielicht, hob sich als dunkler Schatten gegen den Hintergrund des strahlendhellen Tages ab. Sie warf ihm einen Blick zu, der sagte: Ich bin bei dir, John. Wir schaffen das!
Sie hoffte, er habe den Blick bemerkt.
Gipsy trank ein halbes Glas in einem Zug, dann bekam er einen Schluckauf, den er nicht zu unterdrücken versuchte. »Mein Magen ist im Arsch«, erklärte er, »kann nichts dagegen tun.«
Weder John noch Gina erwiderten etwas darauf. Gipsy kramte seine Schmerztabletten hervor und schluckte eine davon. »Scheußlich, diese Schmerzen. Bin schon ein armes Schwein! Muß doch ein schönes Gefühl für euch sein, daß ihr einem armen, todgeweihten Mann die letzten Wochen mit eurer Kohle versüßt!« Seine Augen schienen John fressen zu wollen, obwohl sein Mund grinste. »Im Flugzeug hab’ ich Champagner bekommen. Und was Feines zu Essen. Ist mir allerdings nicht bekommen,
mein Magen spinnt seitdem!« Er trank das Glas leer, dann holte er zum Tiefschlag aus. »Jaja. Wir waren beide jünger und gesünder damals in Vietnam, was, John?«
Niemand sagte etwas. Schließlich, nach einer Weile, erklang Johns Stimme, leise und gepreßt. »Ich habe das Geld hier, Gipsy. Nimm es und verschwinde.«
»Warum so unfreundlich, John? Wir haben uns mal ganz gut verstanden, vor Jahren, in dieser verflucht heißen Hölle da drüben.«
»Vor Jahren, Gipsy, du sagst es. Das alles ist sehr lange vorbei. Vergiß es und laß uns auseinandergehen!«
Gipsy grinste. Er hatte bis auf die beiden oberen Eckzähne nur braune Stümpfe im Mund, und das, so dachte Gina, war es wahrscheinlich, was sein Lächeln so unangenehm machte. Sie hätte gern Johns Hand genommen, aber die Geste hätte ihn vielleicht in Gipsys Augen schwach erscheinen lassen, und so tat sie es nicht.
»Das wäre natürlich das Beste für dich, John«, sagte Gipsy, »wenn ich einfach vergessen würde. Ja, ich kann mir denken, daß du dir das wünschst! Aber ich muß dich enttäuschen. Mein Kopf funktioniert noch ganz gut. Ist zwar sonst nicht mehr viel an mir dran, und ich beiße schon bald ins Gras, aber mein Gedächtnis, das ist in Ordnung. Das ist so glasklar, als ob es gestern gewesen wäre, als wir beide durch den Dschungel rannten und unsere Gewehre unter einem Busch vergruben, tief unter den Zweigen. Ob sie da heute noch liegen? Wahrscheinlich hat keine Menschenseele sie je gefunden!«
John preßte die Lippen aufeinander. Gipsy fuhr fort: »Die Schreie unserer Kameraden werden mir immer im Ohr tönen. Manche haben sie nicht einmal erschossen, erinnerst du dich? Sie haben sie mit ihren Gewehrkolben erschlagen. Ein Mensch schreit erbärmlich, wenn er erschlagen wird. Wie ein Kaninchen. Manchmal, wenn ich nachts wach liege, weil meine Schmerzen mich nicht schlafen lassen, höre ich die Schreie.« Er schwieg und sah hinaus auf den sonnigen Hof. Die Pferde waren von der Weide gekommen und drängten sich im vorderen Gatter; die
Anwesenheit von Menschen brachte ihren üblichen Rhythmus durcheinander, und sie warteten ständig darauf, gefüttert zu werden.
»Schöne Pferde habt ihr hier. Gehören sie alle dir, John?«
»Einem Freund. Die ganze Farm gehört einem Freund.« John verkrampfte seine Hände ineinander. So ruhig wie möglich sagte er: »Hör zu, Gipsy, laß es uns kurz machen. Ich rufe jetzt in der Wirtschaft an und lasse dem Fahrer ausrichten, er soll in einer halben Stunde hier sein. Bis dahin hat er eine Kleinigkeit essen und trinken können. Du nimmst das Geld, und dann fahrt ihr zum Flughafen. Du wirst die Maschine nach New York noch kriegen!«
»Oh, ich fliege nicht nach New York zurück«, erklärte Gipsy gelassen.
John starrte ihn an. »Was heißt das? Ich habe dir ein Rückflugticket geschickt!«
»Ja, ich weiß. Aber ich habe mir überlegt, daß es hier viel schöner ist als in New York. Besonders jetzt, wo es Winter wird. Die Winter im Osten sind so entsetzlich kalt! Nein, ich werde mir hier ein schönes Appartement mieten, mit einem Balkon, auf dem ich in der Sonne liege. Außerdem bin ich dann in deiner Nähe, und wenn es mir
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