Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
schlechtgeht, habe ich einen guten Freund, auf den ich mich verlassen kann!«
    Johns Augen wurden schmal. »Vergiß es, Gipsy! Mit der einen Million sind wir quitt. Du wirst mich nicht wiedersehen und ich dich auch nicht. Ganz gleich, wo du lebst!«
    »Du wirst doch einen Kumpel, der noch zudem ein so gutes Gedächtnis hat, nicht im Stich lassen?« fragte Gipsy lauernd.
    »Ich würde ihn notfalls wegen Erpressung anzeigen«, entgegnete John kalt.
    »Glaubst du, das macht mir etwas aus? Ich bin ein Toter, der nur zufällig noch lebt. Ich fürchte mich vor nichts und niemandem mehr. All die Jahre hat der Alkohol meine Qual und Angst betäuben müssen, aber jetzt bin ich frei. Ja, John. Ich fürchte mich nicht. Nicht mehr.«
    Das häßliche, zerstörte Gesicht trug beinahe einen Ausdruck
von Würde während dieser Worte. Verwundert dachte Gina: Ich kann ihn nicht hassen. Nein — ich habe Mitleid. Mitleid und ein bißchen Angst vor ihm.
    John erhob sich. »Ich rufe den Fahrer an. Du kannst dich bringen lassen, wohin du willst.«
    »Das Geld«, erinnerte Gipsy.
    Zorn und Verachtung sprachen aus Johns Zügen. »Natürlich. Das Geld hole ich auch.«
    Er verschwand im Haus. Gipsy räkelte sich behaglich. Lord, der unter dem Tisch gedöst hatte, stand auf und ging davon. Der Gestank war ihm einfach zuviel.
    »Eines Tages wird er Gouverneur von Kalifornien sein«, sagte Gipsy, »und vielleicht lebt er eines Tages wirklich im Weißen Haus. Sein Ehrgeiz ist eine Flamme, die brennt und brennt und immer neue Nahrung braucht. Schade, daß ich seinen Triumphzug nicht mehr werde verfolgen können.«
    »Das werden Sie wohl nicht«, stimmte Gina ruhig zu.
    »Sonst würde ich vor dem Fernseher sitzen und zusehen, wie sie ihn vor dem Capitol vereidigen, und ich würde denken: Jaja, da steht er nun, der neue Präsident, den ihr gewählt habt, und er hat es nur deshalb geschafft, weil der gute, alte Gipsy seinen Mund gehalten hat.«
    »Bilden Sie sich nicht zuviel ein, Gipsy. Sie werden schließlich sehr gut bezahlt.«
    Er warf ihr einen kurzen, schlauen Blick zu. »Ja, ich weiß. Eine Million Dollar opfert er für seine Karriere. Aber er würde alles opfern, alles! Er würde sogar Sie opfern, Gina, und das wäre ein verdammter Fehler von ihm, aber er würde es tun.«
    »Ich fürchte, Sie wissen nicht, wovon Sie reden.«
    »Doch, ich weiß es. Und Sie wissen, daß ich recht habe. Sie sind ein viel zu kluges Mädchen, um Hirngespinsten nachzujagen oder sich irgendwelchen Illusionen hinzugeben. Sie haben einen klaren, vernünftigen Verstand.«
    »Das geht Sie nichts an, Gipsy.«
    »Nein«, entgegnete er friedlich. Dann stand er auf und schlenderte über den Hof zu dem Gatter hin, in dem sich die Pferde
hinter dem Zaun drängelten. Sie sah ihm nach, war aber ganz in eigene Gedanken versunken.
    Gipsy hatte ja recht. Mit jedem seiner Worte hatte dieser todkranke, verrückte, stinkende Erpresser recht.
    Verflucht noch mal, dachte sie, und plötzlich fühlte sie sich sehr erschöpft.
    Sie zuckte zusammen, als John auf die Veranda trat. Er hielt den Koffer mit dem Geld in den Händen. »Der Fahrer ist in zwanzig Minuten hier«, sagte er. Er schaute sich suchend um. »Wo ist Gipsy?«
    »Er ging zu...Plötzlich fuhr Gina hoch. »Er ist bei den Pferden! John, er ist im Gatter! Das ist gefährlich, hat Max gesagt. Wir müssen ...«
    John legte eine Hand auf ihren Arm. »Laß ihn. Das ist seine Sache.«
    Fassungslos schaute sie ihn an. »Er hat keine Ahnung, daß er sich in Gefahr befindet, John!« Sie lief die Stufen hinab und rannte über den Hof. Sie wollte nicht rufen, denn das hätte die nervös tänzelnden Pferde vielleicht erst richtig erschreckt.
    Auf halbem Weg fiel plötzlich ein Schuß. Im ersten Moment dachte sie, es kann nicht sein, ich habe mich geirrt. Aber dann sah sie die Pferde. Der große Schwarze bäumte sich auf und wieherte schrill. Die anderen taten es ihm nach. Im Nu war Panik im Korral. Ein Knäuel aus tobenden Pferden. Und mittendrin ein Mensch.
    »Gipsy!« Sie schrie, so laut sie konnte. »Gipsy!«
    Gipsy hatte den Schuß auch gehört, und instinktiv brachte er ihn sofort mit sich selber in Zusammenhang. Er fühlte nichts außer den Schmerzen, die er ohnehin ständig hatte, daher glaubte er nicht, daß er von einer Kugel getroffen worden war. Aber im selben Moment drehten die Pferde durch, und er begriff den Sinn des Schusses. Wenn es ihm nicht gelänge, das Tor zu erreichen, würde er von den verfluchten Gäulen zu Tode

Weitere Kostenlose Bücher