Schattenspiel
gutgehen!«
Der Ausdruck seiner Augen war gehetzt.
Am späten Nachmittag kamen sie an. Die Farm erwies sich als überraschend groß, ein weitläufiges Gelände, umgeben von Wäldern und Wiesen. Lord sprang sofort aus dem Auto und
jagte laut bellend umher. Die Pferde — zwölf zählte Gina — tänzelten aufgeregt hin und her; sie hatten sich von der Weide kommend in einem Gatter gesammelt und schienen darauf zu warten, gefüttert zu werden. Kurz darauf tauchten auch schon Max und seine Frau Clarisse auf, zwei sympathische ältere Leute, die sich während Pauls Abwesenheit um die Farm kümmerten.
»Alle zwölf Pferde versorgen Sie allein?« erkundigte sich Gina ungläubig.
Max nickte stolz. »Klar. Morgens und abends. Pferde sind meine Leidenschaft, Ma’am. Und diese hier sind besonders schön, herrliche Tiere sind das. Der Schwarze da«, er wies auf einen großen Rappen mit weißem Stern auf der Stirn, »der ist besonders edel. Aber ein bißchen gefährlich. Vor dem müssen Sie sich in acht nehmen, Ma’am. Sie sollten nicht, ohne daß ich dabei bin, das Gatter betreten. Wenn der Schwarze durchdreht, drehen die anderen vielleicht auch durch, und dann ...« Max machte ein bedenkliches Gesicht.
»Ich geh’ bestimmt nicht einfach ’rein«, versicherte Gina.
»Hab’ ja manchmal Angst um meine Pferde. Ist zwar alles mit Alarm gesichert, und wenn einer versuchen würde, in den Stall oder auf die Weide zu kommen, würde das so bei mir läuten, ich sage Ihnen, daß Tote davon aufwachen könnten. Ich wohne nicht weit, ich wäre ruck, zuck hier. Aber wenn’s mal nicht läutet...ich meine, wie weit kann man sich auf die Technik verlassen ...« Max kratzte sich am Kopf.
John lächelte ungeduldig: »Jaja.« Weder über Pferde noch über Alarmanlagen wollte er jetzt ein längeres Gespräch führen.
Clarisse hatte ihnen ein Huhn und einen ganzen Korb mit Gemüse fürs Abendessen gebracht. Als sie und Max fort waren, briet Gina das Huhn und machte einen Salat aus Gurken und Tomaten. Lord bekam eine Dose Hundefutter geöffnet. Im Schein der Petroleumlampe saßen sie auf der Veranda, aßen und tranken, lauschten den tausend wispernden Stimmen aus Wäldern und Bergen. Irgendwo plätscherte leise eine Quelle.
»Dein Huhn schmeckt sehr gut«, sagte John. Erschien ein wenig ruhiger. Nach zwei Gläsern Bier hatte sich seine Gemütslage
ausgeglichen. Schließlich zündete er sich sogar eine Zigarette an, lehnte sich zurück und rauchte entspannt.
Es war kühl geworden, Feuchtigkeit kroch aus den Wiesen die Veranda herauf. Gina ging ins Haus, um sich lange Hosen und einen Pullover anzuziehen. Auf dem Bett im Schlafzimmer stand, noch unausgepackt, Johns Reisetasche. Plötzlich hatte sie Lust, einen von seinen Pullovern zu nehmen. Sie liebte es, sich in die viel zu großen Kleidungsstücke zu kuscheln und den vertrauten Duft seines Aftershave zu riechen. Sie wühlte in der Tasche. Den aus hellgrauer Wolle hatte er doch bestimmt eingepackt ... Zu ihrer Verwunderung hielt sie auf einmal einen Revolver in den Händen. Einen Moment lang starrte sie ihn an, als habe sie so etwas noch nie gesehen, dann rannte sie, nur in Jeans und BH, hinaus auf die Veranda und hielt John die schwarzglänzende Waffe unter die Nase.
»Warum schleppst du so ein Ding mit dir herum?« fragte sie scharf.
John war keineswegs aus der Fassung gebracht. »Ich halte das während eines Aufenthalts auf einer einsamen Farm in den Bergen durchaus für angebracht«, erwiderte er, »besonders, wenn man so wie wir mit einer Million Dollar in bar reist!«
»Aber ich will nicht, daß du das Ding morgen in den Händen hältst, wenn Gipsy kommt!«
»Himmel, glaubst du, ich erschieße ihn?«
Gina legte den Revolver vor ihn auf den Tisch und fühlte sich auf einmal sehr müde. »Ich möchte, daß morgen alles glatt über die Bühne geht. Ich möchte, daß Gipsy das Geld nimmt und dann für immer verschwindet.«
John lachte, es klang zynisch und nicht im mindesten fröhlich. »Er wird nicht für immer verschwinden, fürchte ich. Das tun Erpresser nie. Sie kommen wieder und melken die Kuh, solange sie können. Was Gipsy angeht, so kann ich nur hoffen, daß ihn, wie man so schön sagt, der Herrgott demnächst zu sich nimmt.«
Sie schliefen beide unruhig in dieser Nacht. In aller Frühe standen sie auf und frühstückten. In atemberaubender Schönheit ging die Sonne hinter den Bergen auf, ließ die herbstlichen
Wälder aufglühen und den Tau auf den Gräsern glitzern.
Weitere Kostenlose Bücher