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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Wolldecken geben lassen. Die Zeit wurde lang.
    John hatte einen Platz am Fenster, aber das nützte ihm nicht viel, denn es gab nur Wolken ringsum. Auf dem Flug von New York hatte er noch einmal die Prozeßakten seines Falles studiert und ein paar Notizen gemacht. Er hatte inzwischen eine klare Vorstellung davon, wie er mit der koreanischen Gegenseite reden wollte. Als er das Brent Cooper beim Abendessen in New York erklärt hatte, war dieser voller Bewunderung gewesen.
    »Du bist ein verdammt guter Jurist, John«, hatte er gesagt, »und das beginnen die Leute zu merken. Du bist brillant und scharfsinnig. Ich prophezeie dir eine große Zukunft. Die OPEC-Sache und Korea sind nur der Anfang. Eines Tages wirst du der berühmteste Anwalt der Vereinigten Staaten.«
    »Übertreib mal nicht, Brent.«
    »Ich übertreibe nicht. Wenn du so weitermachst, hast du es bald geschafft.«
    Die Worte saßen. Warum nicht? fragte er sich. Ich bin Jurist. Meine Professoren haben mir früher eine große Begabung bescheinigt. Warum soll ich nicht an dieser Karriere arbeiten?
    Seine Zuversicht belebte ihn wie ein wärmendes Feuer. Das Gefühl der Befreiung, jenes allererste Gefühl, das damals gleich nach dem Gespräch mit Munroe in Wien über ihn gekommen
war, hatte wieder Besitz von ihm ergriffen. Wie hatte er es gehaßt, sein Leben lang, immer und ewig daran denken zu müssen, was er tun durfte und was nicht...
    Freiheit. Er und Gina würden so frei sein, wie er es noch in keinem Moment seines Lebens gewesen war. Nie wieder mußte er darauf achten, ob die Mehrheit der Bürger Kaliforniens ihn so lieber mochten oder so. Ob er dieses oder jenes sagen sollte, oder es besser bleiben ließ. Oder die ständige Frage des letzten Jahres: Sollte er sich die grauen Strähnen an den Schläfen dunkel färben lassen, weil ein erfolgreicher Politiker möglichst jung und dynamisch aussehen mußte, oder sollte er es so lassen, wie es war, weil es ihn älter machte und er so möglicherweise mehr Vertrauen erweckte? Nach allem hatte er gefragt — nur nie nach sich und seinen Empfindungen.
    Wie wollen die Menschen mich haben, statt: Wie will ich sein?
    Seit er ein kleiner Junge war, hatte ihm sein Vater eingeschärft, daß er für eine große Karriere bereit sein müsse, einen Teil seiner persönlichen Freiheit aufzugeben. Mit zusammengebissenen Zähnen hatte er sich gefügt. Aber mit Gina würde er nicht nur einen Teil seiner persönlichen Freiheit aufgeben: Er würde diesmal sich selber aufgeben.
    Diesen Preis war er nicht bereit zu zahlen.
    Erfüllt von einem friedlichen, inneren Glück fühlte er sich am Beginn eines neuen Lebens.
    Als das Flugzeug explodierte, geschah das so plötzlich, daß es für die meisten der Passagiere keine Schrecksekunde, keinen Moment des Begreifens gab. Alles war auf einmal gleißende Helligkeit, und ein ohrenbetäubendes Krachen zerriß die Stille. Eine Feuerkugel, bestehend aus Flugzeugtrümmern, toten und sterbenden Menschen stürzte ins Meer.
    »Das Ziel ist zerstört«, meldete der Pilot eines sowjetischen Abfangjägers an die Bodenkontrolle.
    Wenig später schrie die Welt entsetzt auf, als der Vorfall durch die Nachrichtensender aller Länder ging: Der südkoreanische Jumbo Jet mit 269 Passagieren an Bord war auf seinem Flug von New York nach Seoul vom Kurs abgekommen und hatte sowjetisches
Hoheitsgebiet überflogen. Er näherte sich der Insel Sachalin, auf der sich eine sowjetische Raketenabschußrampe befindet, als die Abfangjäger Befehl bekamen, den Flug zu stoppen. Sie feuerten zwei Raketen auf den Jumbo. Japanische Flugzeuge und Patrouillenboote, die kurz darauf das Meer auf der Suche nach Überlebenden durchkämmten, hatten keinen Erfolg. Alle 269 Passagiere des Flugzeuges waren tot.

IV.
Buch

New York, 29. 12. 1989
    »Ja«, sagte Gina, »so war das. Ein verfluchter sowjetischer Abfangjäger hat alles kaputtgemacht.«
    Inspektor Kelly musterte sie eingehend. »Hatten Sie damals das Gefühl, es sei eigentlich David Bellino, der alles kaputtgemacht hat? Der die Kette von Ereignissen ins Rollen brachte, die dazu führte, daß John Eastley schließlich an diesem Tag in diesem Flugzeug saß? Haben Sie ihn sehr gehaßt?«
    Es war Nacht geworden inzwischen. Ein Diener hatte frisches Holz im Kamin nachgelegt, knisternd und prasselnd fraßen die Flammen die Scheite. Es brannte nur die pastellfarbene Tiffanylampe neben der Tür, so daß man an den Wänden den Feuerschein tanzen sehen konnte. Niemand hatte Lust auf ein

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