Schattenspiel
— sie alle blickten wie durch eine graue Wand zu ihr herüber. Dann war John in ihr Leben getreten und hatte die Wärme wiedergebracht. Wie sollte es weitergehen ohne ihn?
Sie öffnete die Zimmerbar, warf ein paar Eiswürfel in ein Glas und schüttete Mineralwasser darüber. Im Fernsehen lief gerade irgendein Film, aber Gina sprach zu schlecht deutsch, um zu verstehen, worum es ging. Sie machte das Gerät wieder aus und kauerte sich auf ihr Bett, die Beine eng an den Körper gepreßt.
Das Glas war kalt in ihrer Hand. Nebenan kreischten die Kinder vor Vergnügen. Draußen auf dem Flur ging jemand vorbei und lachte laut.
Ich werde in der ganzen Nacht kein Auge zutun, dachte Gina.
Sie rief bei der Rezeption an und bat um Schlaftabletten. Kurz darauf brachte ihr ein junger Mann zwei Tabletten.
»Vielen Dank.« Sie drückte ihm ein paar Geldstücke in die Hand, schluckte die Tabletten und ging ins Bad, um sich für die Nacht fertig zu machen. Sie hatte nichts zum Abschminken dabei, also reinigte sie ihr Gesicht mit Wasser und Seife, putzte sich die Zähne, zog sich aus und legte sich ins Bett. Hoffentlich wirkten die Tabletten schnell. Sie war plötzlich wach, hellwach. Als hätte sie ein Aufputschmittel genommen. Mit weit geöffneten Augen starrte sie in die Dunkelheit. Wo waren Johns Hände, die ihren Körper sanft streichelten? Sie waren immer einer in den Armen des anderen eingeschlafen, ihr Rücken an seinem Bauch, sein Atem an ihrem Hals. Seine leise Stimme in der Nacht: »Ich liebe dich so sehr, Gina.«
Sie merkte, daß ihr Gesicht naß war von Tränen. Hatte sie richtig gehandelt, als sie ihrem ersten Impuls gefolgt war — weg, nichts wie weg? Im nachhinein erkannte sie: Ja. Wenn es überhaupt eine winzige Chance für sie gab, dann diese. Wäre sie geblieben, hätte um John geworben, hätte versucht, ihm ihre Bedeutung klarzumachen, er hätte geschwankt wie ein Grashalm im Wind, und die Qual hätte sich dahingeschleppt. Sie mußte Klarheit haben. Er mußte sofort wissen, wie es ohne sie war. Nur dann konnte er sich entscheiden.
Aber die Gefahr war groß. Und sie hatte solch entsetzliche Angst. Verzweifelt warf sie sich hin und her. Als sie endlich weit nach Mitternacht einschlief, hielt sie ihr Kissen in den Armen und drückte es an sich wie einen Geliebten.
Als Gina am nächsten Morgen aufwachte, lag noch Nebel über der Landschaft. Schwach schimmerte die Schilfwüste des Neusiedler Sees durch die weißen Schwaden. Schreiend hoben sich die Vögel empor, glitten als einsame, dunkle Punkte über den Himmel. Gina, die, ein Handtuch um den Körper geschlungen, am Fenster stand, empfand den Schmerz im fahlen Morgenlicht noch heftiger. Sie hatte sich im Spiegel betrachtet und gefunden, daß sie entsetzlich aussah, bleich und elend. In ihrer Handtasche
fand sie einen Kajalstift, etwas Puder und einen Lippenstift. Es gelang ihr, sich einigermaßen zurechtzumachen, ehe sie in die Sachen vom gestrigen Tag schlüpfte. Sie brauchte unbedingt frische Wäsche — wenn sie noch länger bliebe. Wieder und wieder wollte sie nach dem Telefonhörer greifen, die Nummer des Hotel Sacher in Wien wählen. Sich mit John verbinden lassen.
»John, Liebling, ich bin in Rust. Das liegt irgendwo in einer gottverlassenen Einöde, und ich weiß überhaupt nicht, was ich hier soll. Ich will zu dir zurückkommen. Ich kann nicht leben ohne dich.«
Aber sie wußte, es hatte keinen Sinn. Wenn sie jetzt bettelte, dann würde er vielleicht kommen, aber gleich darauf wieder zu zweifeln beginnen. Sie biß die Zähne zusammen und verließ das Zimmer.
Nach dem Frühstück erkundigte sie sich an der Rezeption, wo sie größere Einkäufe tätigen könnte. »Es gibt Probleme mit meinem Gepäck, und ich brauche ein paar Sachen zum Anziehen. «
»Da fahren Sie am besten nach Eisenstadt.«
Wieder diese neugierigen, forschenden Blicke. Sie dankte und ging zu ihrem Auto. Der Nebel hatte sich inzwischen gelichtet, fast sommerlich heiß strahlte die Sonne vom wolkenlosen Himmel. Gina fühlte sich ein klein wenig besser, als sie nach Eisenstadt fuhr. Ihre Zuversicht stieg mit der Wärme der Sonne. Konnte eine Liebe wie die zwischen ihr und John einfach so zerbrechen?
In Eisenstadt kaufte sie als erstes Wäsche, dann zwei warme Pullover für die kühlen Abende. Dazu ein paar T-Shirts, Shorts, Sandalen und einen Badeanzug, einen schmalen schwarzen Rock, eine gelbe Seidenbluse und Pumps für den unwahrscheinlichen Fall, daß sie einmal ausgehen
Weitere Kostenlose Bücher