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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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hinterlassen hatte. »Typisch John. Die Möglichkeit, auch er könnte sterblich sein, hat er nie zur Kenntnis genommen. Wenn Sie wenigstens noch geheiratet hätten, dann würde Ihnen sein Vermögen von Rechts wegen zustehen. Aber so ...«
    Sie starrte ihn an, betäubt in ihrem Kummer, und dachte: Glaubt er, mich interessiert Geld?
    »Ich fürchte, die Familie wird sich wenig großzügig zeigen«,
fuhr Clay bekümmert fort. »Im Gegenteil. Der alte Eastley hat gedroht, er werde eher vor jedes Gericht des Landes ziehen, als Ihnen auch nur einen Cent zukommen zu lassen.«
    »Er soll sein Geld behalten. Ich will es nicht. Ich wollte John, sonst nichts.«
    »Ich könnte Ihren Fall übernehmen, Gina. Nur habe ich wenig Hoffnung.«
    »Nein«, wehrte sie spröde ab, »ich streite mich nicht mit der Familie Eastley um Johns Geld.«
    Neben dem Schmerz konnte sie nichts anderes empfinden, weder Sorge um ihre Zukunft noch Bitterkeit, weil niemand in der Familie sie als Johns Frau akzeptierte. Es interessierte sie nicht, ob sie etwas erbte oder nicht. Durch ihren Panzer von Traurigkeit drang nichts.
    Zurück in England stellte sie fest, daß Tante Joyce an einem Blinddarmdurchbruch gestorben war, daß Onkel Fred das Haus verkauft hatte und in einer Trinkerheilanstalt saß. Sie besuchte ihn dort und sah sich einem traurigen, kranken, alten Mann gegenüber, der in einem muffigen Zimmer saß und dumpf vor sich hin starrte. »Gina, wie schön«, murmelte er. »Wo warst du so lange? Wann sind wir zuletzt in eine Kneipe gegangen?«
    »Das ist schon eine Weile her, Onkel Fred.«
    »Ja... Wir hatten eine gute Zeit, nicht? War doch lustig, wenn wir losgezogen sind, ein Bier trinken, ja?« Hoffnung flackerte in seinen trüben Augen. Bei einem Bier ist es nie geblieben, dachte Gina, und nach Hause konntest du keinen Schritt mehr alleine tun. Du hast geweint, wenn du besoffen warst; und nachher hast du gekotzt; wenn ich Glück hatte, erst auf dem Klo, meistens schon im Treppenhaus.
    Sanft sagte sie: »Es war eine gute Zeit, Onkel Fred, natürlich.«
    »Wo warst du so lange?« fragte er noch einmal, und ohne eine Antwort abzuwarten, fügte er hinzu: »Arme Joyce. Sie ist zu früh von uns gegangen.« Durch das kleine quadratische Fenster seines Zimmers starrte er hinaus in den trostlosen Hinterhof, in dem Pfützen zwischen den Pflastersteinen standen. In seinen blaßblauen Augen glänzten Tränen. Überrascht erkannte Gina,
daß sein Herz an der verknöcherten, humorlosen Frau gehangen haben mußte, mit der er dreißig Jahre seines Lebens geteilt hatte. Und noch etwas begriff sie: Von ihm konnte sie keine Hilfe erwarten. Es wäre illusorisch gewesen zu glauben, er werde ihr mit etwas Geld über die Runden helfen. Was der alte Mann hatte, brauchte er für sich, er würde es schwer genug haben, sein Leben zu Ende zu leben.
    Sie neigte sich zu ihm und gab ihm einen Kuß. »Ich besuche dich bald wieder, Onkel Fred. Und ich werde dir sobald wie möglich mitteilen, wo du mich erreichen kannst, wenn etwas ist.«
    »Jaja.« Er schaute an ihr vorbei ins Leere. Als sie ging, hörte sie ihn leise vor sich hin murmeln. Wahrscheinlich hatte er schon vergessen, daß sie dagewesen war.
    Charles Artany blieb der einzige, an den sie sich in diesem Moment wenden konnte. Sie hatte kein Geld, keine Unterkunft, sie besaß nur drei Koffer mit Kleidern und Schmuck, aber von diesen Sachen wollte sie nichts verkaufen, denn John hatte sie ihr geschenkt. Sie stand da mit nichts in den Händen, aber mit einem fast zu Tode verwundeten Herzen, erstarrt vor Kummer, unfähig, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Als sie an einem kalten, windigen Februarnachmittag in der kleinen Kirche von Artany Manor mit Charles getraut wurde, fragte sie sich verwundert und verwirrt, wie es dazu hatte kommen können. Sie hatte John Eastley heiraten wollen, nun wurde sie die Frau eines Mannes, den sie nicht liebte. Der gute, treue Charles! Wahrscheinlich hatte sie seinem ständigen Drängen schließlich aus einem gewissen Anstandsgefühl heraus nachgegeben. Er war dagewesen, als sie ihn brauchte, er hatte sich um sie gekümmert, sie in seiner kleinen Wohnung aufgenommen, selber auf dem Sofa im Wohnzimmer geschlafen, damit sie das Schlafzimmer haben konnte. Er hatte nicht einmal protestiert, wenn sie sich während ihrer depressiven Phasen über Stunden im Bad einschloß und auf sein schüchternes Klopfen an der Tür nicht reagierte. Ich brauche mich ja heute nicht zu duschen, hatte er gedacht und

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