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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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war zu seiner Orchesterprobe getrottet.

    Ihr Widerstand zerbrach an Weihnachten; in trostloser Einsamkeit war sie den ganzen Tag im St. James Park herumgelaufen, im Schneematsch und bei Nieselregen, und zähneklappernd saß sie abends in Charles’ Wohnung vor dem Kamin. Er hatte einen kleinen Baum aufgestellt und geschmückt, eine Platte mit Weihnachtsmusik aufgelegt und sich stundenlang in die Küche gestellt, um ein fünfgängiges Menü zu zaubern. Im Kerzenschein saßen sie einander gegenüber, Gina stocherte in ihrem Avocadosalat; erschöpft dachte sie, er hat schon wieder gekocht und alles so schön gemacht, ich muß ihn nun endlich heiraten. Um Mitternacht, als er sie zum hundertsten Male fragte, ob sie seine Frau werden wollte, sagte sie »ja« und brach gleich darauf in Tränen aus.
    Die Hochzeit hatte etwas von einem Alptraum, aber noch viel schlimmer wurde es am Abend, als die Gäste gegangen waren. Auf den ersten Blick haßte Gina das Schlafzimmer, einen hohen, zugigen, ungemütlichen Raum, in dessen Mitte ein altes französisches Bett mit Seidenbaldachin stand. Noch mehr haßte sie die Vorstellung, mit Charles in einem Bett schlafen zu müssen. Sie hatte keinen anderen Mann als John gehabt, und sie wollte nie einen anderen haben. Die Nächte mit ihm waren noch lebendig in ihrem Gedächtnis; sie mochte sich die Erinnerung durch nichts zerstören lassen. Als sich Charles neben sie legte und schüchtern die Hand nach ihr ausstreckte, zuckte sie zusammen und sagte mit erstickter Stimme: »Ich... ich fühle mich nicht wohl. Wahrscheinlich habe ich mich erkältet.«
    Charles war sofort voller Besorgnis. »Dein Kleid war zu leicht für einen so kalten Tag. Ich habe mir das schon gedacht. Und die Kamine heizen so schlecht.«
    »Ich habe furchtbar gefroren die ganze Zeit...« Nimm die Hände weg! Ich werde sonst um Hilfe schreien!
    »Warum hast du denn nichts gesagt? Du Arme! Geht es dir schlecht?«
    »Ich muß einfach ein bißchen schlafen. Dann wird es sicher besser.« Sie zog sich an den äußersten Rand des Bettes zurück und lauschte angespannt, bis sie von Charles ein leichtes Schnarchen
vernahm. Dann erst entspannte sie sich, und da es ein anstrengender Tag gewesen war, schlief sie schließlich ein.
    Am nächsten Morgen stand Charles in aller Frühe auf und machte mit Lord — er war die einzige Hinterlassenschaft Johns, die Gina aus Los Angeles mitgebracht hatte — einen Spaziergang über die neblig kalten Felder. Er war so verliebt in sein Land, daß ihn Schneematsch und Nieselregen nicht störten. Gina wartete, bis er fort war, dann stand sie auf, zog einen Morgenmantel an und ging hinunter in die Küche, wo ein warmes Feuer im Ofen brannte. Viola, die Haushälterin, stellte einen Becher mit heißem Kakao auf den Tisch. »Lord Artany sagt, Sie seien erkältet. Trinken Sie das. Es wird Ihnen guttun.«
    »Danke.« Gina nahm einen Schluck. Der Kakao schmeckte köstlich. Ein Regenschauer prasselte plötzlich gegen die Fensterscheiben, in den Schornsteinen heulte der Wind.
    »Es wird noch kälter«, prophezeite Viola düster, »und Sturm kriegen wir auch. Ein Wetter ist das hier immer...« Unvermittelt fügte sie hinzu: »Ein besonders warmes Nest haben Sie sich nicht ausgesucht. Hier beginnt alles zu bröckeln.«
    »Ich weiß. Das Gut ist ziemlich verschuldet, nicht?«
    »Ziemlich verschuldet ist gut. Es ist belastet bis unters Dach. Das werden noch harte Jahre.«
     
    »Wovon lebten Sie mit Lord Artany?« erkundigte sich Inspektor Kelly. »Die Stelle in dem Londoner Orchester hat er ja wohl aufgegeben? «
    »Ja. Dafür fand er eine in Edinburgh. Aber die war sehr schlecht bezahlt. Ich versuchte Kriminalgeschichten zu verkaufen, aber das funktionierte nur hin und wieder und brachte wirklich nicht viel Geld. Auf jeden Fall nicht soviel, wie das verdammte riesengroße Anwesen verschlang. Geld, Geld, Geld; unsere Gespräche kreisten um nichts anderes. Aber vielleicht war das ganz gut, denn ein anderes Thema hätten wir sowieso nicht gehabt, und wir mußten wenigstens nicht das glückliche, heitere Paar spielen.«
    »Sie haben Lord Artany nie geliebt?«

    Gina warf die Haare zurück. »Nein, das habe ich nicht. Aber ich habe eine gewisse Achtung vor ihm. Er ist durch und durch ein guter Mensch.«
    Kelly nickte. »Sie waren damals eine ziemlich unglückliche Frau?«
    »Ich war so unglücklich, wie man es nur sein kann, und ich war keine große Stütze für den armen Charles. Besonders dann nicht, als er auf

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