Schattenspiel
hat doch eine recht ordentliche Beschreibung der Täter geliefert«, sagte Bride. »Warum warten wir jetzt nicht einfach in Ruhe ab, ob die Fahndung etwas bringt?«
Kelly hob den Kopf. »Ich begreife nicht, wie für Sie alles sonnenklar sein kann, Bride. Die Einbrecher haben David Bellino erschossen! Na gut, manches spricht dafür. Aber gibt Ihnen der Ausspruch nicht zu denken, den Bellino laut übereinstimmender Zeugenaussage kurz vor seinem gewaltsamen Tod getan hat? ›Ich will herausfinden, wer von euch mich umbringen will!‹ Das richtete sich an seine Gäste. Er verläßt das Zimmer und ist anderthalb Stunden später tatsächlich tot. Eigenartig, nicht?«
»Warum sollte ihn denn einer seiner Gäste umbringen wollen?«
»... die berühmte Frage nach dem Motiv. Auf den ersten Blick zeichnet sich keines ab, aber es scheint eines zu geben, denn Bellino hat offenbar eines gesehen. Suchen wir doch erst einmal nach der Gelegenheit: Jeder der vier hätte sie gehabt.« Kelly lehnte sich nach vorne, nun mit äußerst konzentriertem Gesichtsausdruck. »Das Essen endete um halb elf. Alle Gäste begaben sich in ihre Zimmer. Laura Hart, die während des Dinners von Bellino hart angefahren worden war, saß nach eigenen Angaben weinend im Schlafzimmer. David Bellino hatte sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Es kann mit einiger Sicherheit davon ausgegangen werden, daß er um halb elf noch lebte. Sein Tod muß also zwischen halb elf – Ende des Dinners – und Mitternacht – unser Eintreffen – eingetreten sein.«
»Zwischen halb elf und zwanzig vor zwölf«, berichtigte Bride, »da ging der Alarm los.«
Kelly schüttelte den Kopf. »Sie gehen immer davon aus, daß die Einbrecher die Täter waren. Das muß aber nicht sein. Bellino kann auch, nachdem die Einbrecher das Haus verlassen hatten, umgebracht worden sein.«
»Na ja ...«, meinte Bride vage.
»Gehen wir einmal die vier Gäste durch«, sagte Kelly. »Keiner hat für die Tatzeit ein vollständiges Alibi. Da ist einmal Lady Gina Artany. Sie suchte Bellino ungefähr um zehn Minuten vor elf in seinem Zimmer auf – nach eigener Aussage, um ihn ›anzupumpen‹. Nach etwa zwanzig Minuten verließ sie ihn wieder. Nachdem sie ihn erschossen hat?«
»Dann hätte sie kaum zugegeben, bei ihm gewesen zu sein!«
»Nun, erstens wurde sie bei ihrer Rückkehr von Miss Hart und Mr. Marlowe gesehen und mußte sich eine Erklärung einfallen lassen. Zweitens ist so eine Flucht nach vorne oft der beste Weg. Die Artany ist ein kaltblütiges Mädchen.«
»Na ja ...«, murmelte Bride wieder. Er war so müde.
»Miss Natalie Quint«, fuhr Kelly fort, »zog sich nach dem Dinner sofort in ihr Zimmer zurück. Blieb sie dort tatsächlich, bis der Alarm ertönte? Oder verließ sie es und erschoß David Bellino?«
Bride seufzte. Das erschien ihm alles so weit hergeholt. Er hatte die Quint schließlich während der Verhöre auch kennengelernt. Eine kühle, beherrschte, sehr kultivierte Frau. Nicht eine, die mitten in der Nacht loszieht und einen Mann erschießt.
Als hätte er Brides Gedanken geahnt, fügte Kelly hinzu: »Ich glaube, Miss Quint ist tablettensüchtig.«
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Ich habe einen Blick dafür. Mit der Frau stimmt etwas ganz und gar nicht.«
Bride verkniff sich im letzten Moment, »Na ja« zu sagen.
»Steven Marlowe«, fuhr Kelly fort, »begab sich nach dem Dinner in das Zimmer von Mary Gordon. Die beiden hatten etwas ›Privates‹ zu besprechen. Als er ging, traf er Gina Artany, die von Bellino kam. Es muß also etwa zehn nach elf gewesen sein. Danach hätte er Zeit und Gelegenheit gehabt, einen Mord zu begehen.«
»Er ist nicht der Typ dafür.«
»Nein? Ich halte ihn beinahe für den Prototypen. Eine sehr schwierige Persönlichkeit. Ein Mann, der an Schicksalsschlägen nicht erstarkt, sondern zerbricht. Das Gefühl, sich in einer ausweglosen Situation zu befinden, könnte ihn durchaus zu einem Mord verleiten.«
Bride fand, daß Kelly in diese ganz normalen Menschen viel zuviel hineininterpretierte, aber er behielt seine Ansicht für sich.
»Schließlich Mary Gordon. Marlowe verließ sie um zehn nach elf. Um halb zwölf telefonierte sie mit ihrem Mann – das wäre
eventuell nachzuprüfen. Trotzdem liegen zwanzig Minuten dazwischen, in denen sie Bellino hätte umbringen können.«
»Verzeihen Sie«, sagte Bride, »aber Mrs. Gordon halte ich nun wirklich für unfähig, so etwas zu tun. Ein schüchternes, kleines Mädchen, das
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