Schattenspiel
wahrscheinlich in Geschrei ausbricht, wenn es eine Spinne über den Teppich krabbeln sieht.«
»Wahrscheinlich schreit sie, wenn ihr eine Spinne in den Weg kommt, da mögen Sie recht haben. Aber weshalb sollte sie deshalb nicht zur Waffe greifen und einen Mann über den Haufen schießen? Wir kennen in der Kriminalgeschichte eine ganze Reihe von Mördern, die als außerordentlich schüchterne Menschen bekannt waren. Ein Leben lang fürchten sie sich vor allem und jedem, bekommen den Mund nicht auf, jeder trampelt auf ihnen herum, und irgendwann gehen sie hin und schießen. Nicht ungewöhnlich.«
Bride gähnte verstohlen. »Und was ist mit Miss Laura Hart?«
»Ja, das ist so eine Sache. Als Lady Artany David Bellino verließ und damit – sofern sie ihn nicht selber umbrachte – den Weg für seinen Mörder freimachte, befand sich Miss Hart schon auf dem Weg zur Tür, um den vermeintlichen Angestellten des Restaurants zu öffnen. Sie führte sie ins Eßzimmer, wo das Geschirr stand, wurde dort von ihnen überwältigt und gefesselt. Die anderen fanden sie erst, als bereits die Alarmglocke bimmelte.«
»Die Einbrecher hielten sich ziemlich lange in der Wohnung auf«, sagte Bride. »Trotzdem hat Bellinos Mörder, der ja dann zur gleichen Zeit hier herumgeschlichen sein muß, nichts von ihnen bemerkt?«
»Dieses Penthouse ist verdammt groß. Und sowohl Einbrecher wie Mörder waren bemüht, nicht entdeckt zu werden, bewegten sich also vorsichtig und leise. Sie könnten aneinander vorbeigekommen sein. Sie könnten einander aber auch ignoriert haben.«
»Wie?«
»Stellen Sie sich vor, Sie haben gerade einen Mann erschossen. Schnell und unbemerkt möchten Sie in Ihr Zimmer zurück. Auf halbem Weg entdecken Sie etwas; zum Beispiel sehen Sie,
wie drei fremde Männer Miss Hart auf den Boden zwingen und fesseln. Würden Sie hinzuspringen? Um Hilfe rufen? Alarm schlagen? O nein, wenn Sie klug sind, tun Sie das nicht. Denn früher oder später würden Sie erklären müssen, was Sie eigentlich dort zu suchen hatten, und das würde Sie schwer ins Stottern bringen. Leise und still würden Sie weitereilen. «
»Hm.«
»Trotzdem ist Ihre Bemerkung nicht uninteressant, Bride. Der Portier sagte, die Männer seien an ihm vorbeigestürmt, als sei der Teufel hinter ihnen her. Andernfalls hätte er ja gar nicht sofort Alarm ausgelöst. Die ganze Zeit habe ich mir überlegt, welches der Grund für den überstürzten Aufbruch gewesen sein kann. Möglicherweise sind die Einbrecher dem Mörder begegnet. Sie glaubten sich entdeckt und stürmten davon. «
Bride rutschte im Sessel hin und her, in der Hoffnung, eine bequemere Stellung für seine schmerzenden Knochen zu finden. Sein Genick war ganz steif, stöhnend rieb er es mit der Hand. Dieses fahle, häßliche Morgenlicht! Manchmal haßte er seinen Beruf. »Glauben Sie nicht, daß Sie es sich jetzt zu schwer machen, Inspektor?« fragte er und dachte dabei zornig: Vor allem machen Sie es mir schwer. »Für mich scheint das alles klar auf der Hand zu liegen.«
»Sie vergessen die Bemerkung, mit der David Bellino die ganze Gesellschaft schockierte, ehe er das Dinner verließ. ›Ich will herausfinden, wer von euch mich umbringen will.‹ Eine bedenkenswerte Bemerkung, finden Sie nicht? Von einem Mann, der anderthalb Stunden später tot aufgefunden wird!«
»Theatralisch«, meinte Bride. »Nehmen Sie das ernst?«
»Sehen Sie, Miss Hart sagte vorhin im Verhör, David Bellino habe unter Verfolgungswahn gelitten. Überall in seinem Arbeitszimmer hatte er Pistolen deponiert, um – wo er sich auch befand – gleich eine Waffe zur Hand zu haben. Ich würde ihr sofort zustimmen und ebenfalls von einem Wahn sprechen, bloß ist der Mann leider tatsächlich erschossen worden – fatalerweise mit einer seiner eigenen Waffen – und man sollte daher mit dem Begriff ›Wahn‹ vorsichtig umgehen. Außerdem haben wir die
Drohbriefe in seinem Schreibtisch gefunden. Bellino hatte echte Todesangst, zu Recht, wie wir wissen. Und aus irgendeinem Grund glaubte er, einer seiner vier Freunde von früher würde der Täter sein.«
»Warum hat er sie dann eingeladen?«
Kelly betrachtete seinen Kollegen ein wenig mitleidig. »Wenn Angst und Spannung unerträglich werden, kommen wir alle leicht in die Versuchung, die Gefahr selbst heraufzubeschwören. Wir sehen den Dingen lieber ins Auge, als zu warten, daß sie uns aus dem Hinterhalt anspringen. Ist es Ihnen nie so gegangen?«
Bride war ein nüchterner und
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