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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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hatte sie überreden wollen, gemeinsam zu David zu gehen und das Geld zu fordern, das ihnen seiner Ansicht nach zustand. »Denk daran, was er uns allen angetan hat.«
    »Ich kann das nicht tun, Steve. Wenn du es für richtig hältst, mußt du es allein tun. Ich kann so etwas nicht!« Allein der Gedanke ließ sie sich schütteln.
    »Bitte, Mary! Für mich hängt so viel davon ab!«
    Kannst du nicht einmal etwas alleine tun? hatte sie gedacht.
    »Es geht nicht, Steve. Es tut mir so leid.« Sie war den Tränen nahe gewesen, als er das Zimmer verließ. Warum konnte sie nicht einmal über ihren Schatten springen? Warum immer diese lähmende Schüchternheit? Oder war es wirklich zuviel, was er verlangte?

    Es dauerte eine Ewigkeit, bis auf der anderen Seite des Atlantiks der Telefonhörer abgenommen wurde. Ein Stöhnen war zu hören, dann ein gekrächztes: »Gordon ...«. Es klang, als sei Peter aus dem Tiefschlaf gerissen worden.
    Wieso, um Himmels willen, schläft er jetzt? fragte sich Mary entsetzt.
    »Peter«, piepste sie. Sie wußte, das Schlimmste, was man tun konnte, war, ihn zu wecken.
    »Was?«
    »Peter, ich bin es, Mary.«
    Eine Weile blieb alles ruhig, dann sagte Peter langsam: »Du bist wohl wahnsinnig geworden!«
    »Peter, es tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe, aber ich konnte nicht damit rechnen, daß du um diese Zeit schläfst. Ich meine, am Nachmittag ...«
    »Wieso Nachmittag, verdammt noch mal? Es ist halb sechs Uhr morgens!«
    Mary erstarrte fast vor Schreck. »Was? Wieso? Ich denke, in Europa ist es sechs Stunden früher als in Amerika...«
    Von Peter kam ein langer Seufzer. »Du bist so dumm, Mary. So abgrundtief dumm. Sechs Stunden später ist es hier. Kapierst du das? Später!!! Das gibt’s doch gar nicht, daß eine einzelne Frau so dumm ist!«
    »O Gott, ja, du hast recht. Peter, es tut mir leid. Ich bin so durcheinander ...«
    Sie stammelte herum und fühlte sich hundeelend.
    »Schon gut. Es ist nicht mehr zu ändern, oder? Warum rufst du an?«
    Mary wußte, wie banal es klang, aber sie sagte es trotzdem – schließlich blieb ihr ja auch nichts anderes übrig: »Ich... ich wollte eigentlich nur sagen, daß ich... gut angekommen bin...«
    »Wie hochinteressant! Da ich nichts von einem Flugzeugunglück gehört habe, hätte ich das beinahe schon vermutet!« Peter hielt Bemerkungen dieser Art für geistvoll und erwartete stets Beifall.

    Wie immer lachte Mary denn auch höflich und sagte: »Natürlich, du hast recht! Ich habe wieder mal nicht nachgedacht!«
    Aber in Wirklichkeit waren die alten Ängste wieder da, und die tausend Tage erstanden in ihrem Gedächtnis, in denen sie um ein freundliches Wort, um ein Lächeln von ihm gebettelt hatte. In ungezählten Stunden, die sie sich weinend im Bad eingeschlossen hatte, um seinen – früher verbalen, später auch handgreiflichen – Attacken zu entgehen, war ihr wieder und wieder die verzweifelte Beschwörung durch den Kopf gegangen: Wenn ich mich doch von ihm befreien könnte! Hätte ich doch die Kraft, ihn zu verlassen!
    Zum ersten Mal heute fühlte sie einen Anflug von der Kraft in sich, die sie brauchen würde. Statt Angst und Unsicherheit entdeckte sie plötzlich Wut in sich. Verdammt, Peter Gordon, was glaubst du, wer du bist? Du kleiner Versager, der keine Arbeit hat, den ganzen Tag vor dem Fernseher hängt und viel zuviel säuft! Und glaubt, seine Umwelt nach Herzenslust tyrannisieren zu dürfen. Ist dir eigentlich klar, wie viele Stunden meines Lebens du mir gestohlen hast?
    »Hast du etwas von Cathy gehört?« erkundigte sie sich kühl.
    Etwas am Klang ihrer Stimme schien ihn zu irritieren. Er zögerte einen Moment. »Deine Tochter hat heute früh angerufen«, antwortete er dann. Er betonte gern, daß es sich bei Cathy nicht um sein Kind handelte. »Ich denke, es geht ihr gut. Aber natürlich, sie ist ja auch bei lieben Freunden. Du bist auch bei lieben Freunden. Nur ich bin allein. Aber das braucht euch ja nicht zu kümmern. Hauptsache, ihr fühlt euch wohl!«
    »Peter, du weißt, ich würde mir sehr wünschen, daß du dich auch wohl fühlst. Cathy und ich können nichts dafür, daß du keine Freunde hast. Warum mußtest du auch ...«
    »Warum mußtest du auch, warum mußtest du auch!« äffte er sie wütend nach. »Wenn jetzt wieder die alte Leier kommen sollte, dann schenk sie dir bitte! Ich kann deine Vorwürfe nicht mehr ertragen. Weißt du, worüber ich nur froh bin im Moment? Daß ich deinen gottverdammten selbstgerechten

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