Schattenspiel
Gesichtsausdruck nicht sehen muß!«
Die letzten Worte schrie er. Mary tat, was sie nie vorher getan hatte: Mit wütendem Schwung knallte sie den Hörer auf die Gabel. Der Apparat schepperte. Mary starrte ihn an. Das Gefühl von Reue, das in ihr aufstieg, ließ sie schwindeln.
Was habe ich getan? Lieber Himmel, wie konnte ich das tun?
Genau in diesem Augenblick ertönte schrill und durchdringend die Alarmanlage.
Sie erschienen alle auf dem Gang, wie sie gerade waren: Mary und Steve noch vollständig angezogen, aber Mary ohne Schuhe; Gina in einem weißen Bademantel, ein Handtuch über der Schulter und einen Spritzer Zahnpasta auf der Nase. Natalie trug ein hochelegantes schwarzes Nachthemd mit passendem Seidenmantel, der wie ein Schleier hinter ihr herwehte. Sie hatte sich bereits abgeschminkt, und den anderen fiel auf, daß sie ohne Make-up sehr elend aussah.
»Einbrecher!« schrie Gina, die die ganze Angelegenheit vorläufig komisch aufzufassen schien, theatralisch.
»Was hat sich David denn jetzt ausgedacht?« fragte Steve genervt.
Natalie war weiß wie die Wand. »Wenn das ein Scherz ist, dann ist er mehr als schlecht, und wenn David dahintersteckt, kann er sicher sein, daß ich morgen früh mit der ersten Maschine nach Paris zurückfliege!«
»Wir sehen jetzt mal, was los ist«, bestimmte Gina.
Nacheinander stiegen sie die weiße Wendeltreppe hinauf. Wie auf eine Verabredung hin teilten sie sich oben: Steve und Mary gingen in die eine Richtung davon, Gina und Natalie in die andere. Sie traten ins Eßzimmer, wo noch immer das Geschirr und die Reste vom Abendessen standen. Auf dem Boden lag Laura mit zusammengebundenen Füßen, die Hände auf den Rücken gefesselt, ein Taschentuch im Mund, das sie am Schreien hinderte. Das Ganze war als Bild so grotesk, daß Gina und Natalie ein paar Sekunden einfach nur verwundert stehenblieben. Erst als Laura ein Stöhnen von sich gab, schüttelten sie ihre Verwirrung ab und eilten dem Mädchen zu Hilfe.
»So stellt man sich Manhattan vor«, sagte Gina, während sie Laura den Knebel aus dem Mund nahm. »Was ist denn um Himmels willen passiert, Laura?«
Laura schnappte nach Luft. »Die Männer, die das Geschirr abholen wollten«, krächzte sie, »die haben mich überfallen!«
Die Alarmanlage schrillte immer noch. »Kann nicht irgend jemand dieses Ding ausschalten?« fragte Natalie entnervt.
»Wo sind die Kerle denn jetzt?« Gina blickte um sich. »Sind sie noch in der Wohnung?«
»Ich nehme an, sie sind abgehauen, und der Pförtner hat den Alarm ausgelöst«, meinte Laura. Mühsam rappelte sie sich auf. »O Gott, ich spüre jeden Knochen! Was für Schweine!«
Im gleichen Moment vernahmen sie vom Gang her einen Schrei, so laut und schrill, daß er sogar die Alarmanlage übertönte.
»Wer wird denn jetzt ermordet?« fragte Gina, und wie eine makabre Antwort auf die Frage hörten sie: »David! David ist tot! Jemand hat David erschossen!«
New York, 29. 12. 1989
Schneeschwere Wolken hingen tief über der Stadt, und der heraufdämmernde Morgen war trüb und grau. Inspektor Kelly saß im Sessel vor dem Kamin im Wohnzimmer und starrte nachdenklich vor sich hin. Sergeant Bride, sein Mitarbeiter, betrachtete ihn müde und verdrossen. Beide Männer hatten sich die vergangene Nacht um die Ohren geschlagen, aber während Kelly gespannt und hellwach wirkte, mußte Bride alle zwei Minuten gähnen, und inzwischen machte er sich auch nicht mehr die Mühe, das zu unterdrücken. Für ihn war der Fall sowieso klar: Die Einbrecher waren in das Arbeitszimmer des nunmehr toten David Bellino eingedrungen, wohl in der Erwartung, um diese Zeit dort niemanden mehr vorzufinden. David, der noch an seinem Schreibtisch saß, hatte blitzschnell seine Pistole zur Hand gehabt (Laura hatte die im Zimmer herumliegende Waffe, die laut Spurensicherung die Tatwaffe war, als Davids Eigentum identifiziert), er war aber nicht mehr zum Schießen gekommen, denn einer der Einbrecher hatte ihm die Waffe entwunden und abgedrückt. Die Kugel hatte David Bellino direkt in die Schläfe getroffen. Er mußte innerhalb einer einzigen Sekunde tot gewesen sein.
Entsetzt – denn ein Mord war nicht geplant gewesen – hatten die Einbrecher Hals über Kopf die Wohnung verlassen. Als sie am Pförtner vorbeistürmten, merkte der, daß mit den vermeintlichen Boten aus dem Restaurant etwas nicht in Ordnung war. Er betätigte den Alarm. Eine Viertelstunde später erschien die Polizei am Tatort.
»Diese Laura Hart
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