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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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machen, daß er nach Ablegen des Eides unter allen Umständen zur Wahrheit verpflichtet ist ...«
    »Ich protestiere«, unterbrach Alans Anwalt, »auf sehr subtile Weise unterstellen Sie dem Zeugen damit erneut, er sage nicht die Wahrheit. Mr. Marlowe ist auf die Bedeutung der Vereidigung zu Beginn der Verhandlung aufmerksam gemacht worden, und es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß er nicht begriffen hat, worum es geht. Ich würde den Herrn Staatsanwalt bitten, seine Einschüchterungsversuche zu unterlassen.«
    »Ich ziehe meine letzte Bemerkung zurück«, sagte Marsh entgegenkommend, denn nachdem seine Worte einmal im Raum standen, brauchte er nicht auf ihnen zu beharren.
    Alan hat einen guten Anwalt, dachte Steve. Sein Vater hatte dafür gesorgt. Trotzdem stand jetzt schon fest: Ohne das konstruierte Alibi hätte Alan schlechte Karten gehabt. Alles schien für seine Schuld zu sprechen.
    Steve fragte sich, ob er wohl die Geschworenen wenigstens weitgehend überzeugt hatte und riskierte einen kurzen Seitenblick. Pokerface, jeder einzelne von ihnen. So rasch konnte er nicht erkunden, was hinter den Stirnen vor sich ging. Er wußte, er würde nun noch Alans Anwalt Rede und Antwort stehen müssen, was er als Heimspiel betrachten konnte, denn mit dem war alles erprobt. Aber der entscheidende Trumpf kam noch: David Bellino. Kein Bruder des Angeklagten, sondern ein Fremder. Und einer, der Eindruck machte. Steve sah ihn an, das ruhige, schmale Gesicht, der gelassene, selbstsichere Ausdruck in seinen Augen. Konzentriert wirkte er, aber völlig unverkrampft.

    Oh, wartet nur alle, bis David Bellino vorne sitzt! Dann steht Alans Unschuld fest. David macht das schon!
     
    Fast unmerklich ging eine Veränderung in Davids Gesicht vor, als er vereidigt wurde. Es nahm einen gehetzten Ausdruck an, die Haut war plötzlich um ein paar Schattierungen blasser. Möglicherweise bemerkte das kaum jemand im Gerichtssaal, aber Steve, der David unablässig fixierte, sah es sofort, und sein eigener Puls beschleunigte sich. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, versuchte er sich zu beruhigen, David verliert nicht die Nerven, nicht in einer so wichtigen Situation wie dieser.
    Staatsanwalt Marsh zeigte eine joviale Miene, als er sich vor David aufbaute; er blickte fast freundlich, und es schien, als strecke er diesem Zeugen die Hand hin und baue eine unsichtbare Brücke. Sie können mir vertrauen, sagte sein Lächeln.
    »Nun, Mr. Bellino, erzählen Sie uns von jenem denkwürdigen 4. Juli in St. Brevin. Von diesem schönen Sommertag, als plötzlich ein unerwarteter Besucher vor der Haustür stand!«
    Auf Davids Stirn erschienen Schweißperlen.
    »Ich...nun...«, begann er.
    Marsh neigte sich vor. »Erzählen Sie in aller Ruhe, Mr. Bellino. Niemand drängt Sie. Wir haben Zeit. Und Sie sollten sich auch Zeit lassen, denn Sie stehen unter Eid, und ein falsches Wort könnte verhängnisvoll sein. Aber das wissen Sie.«
    »Ja«, sagte David leise. Es klang krächzend. Unter den Geschworenen entstand eine erste Unruhe. Man hatte sich zunächst entspannt und etwas gelangweilt zurückgelehnt, in der Erwartung, nun dieselbe Geschichte noch einmal zu hören, aber auf einmal schien das nicht mehr so klar. Dieser Zeuge wackelte. Er hatte Angst. Wovor? Sogar der Richter nahm eine aufrechte Haltung ein. Zum erstenmal widmete er dem Prozeß einige Aufmerksamkeit.
    »Berichten Sie uns«, sagte Marsh. David wurde noch blasser. Jeder konnte sehen, daß seine Hände zitterten.
    »Am vierten Juli...gingen Natalie und Gina schon früh fort. Ich meine, sie fuhren fort. Nach Nantes.«

    »Sie und Mr. Marlowe blieben daheim?«
    »Ja. Es versprach ein sehr heißer Tag zu werden, und wir fanden die beiden Mädchen verrückt, daß sie sich ins Verkehrsund Menschengewühl einer Großstadt stürzen wollten – aber es konnte natürlich jeder tun, was er wollte.«
    »Natürlich. Und Sie und Mr. Marlowe beschlossen vernünftigerweise, daheim zu bleiben. Sehr zum Glück von Mr. Alan Marlowe. Denn der hätte ja sonst kein Alibi.«
    David schwieg. Im ganzen Saal war kein Laut zu hören. Steve hatte das Gefühl, man müsse seinen Atem hören, denn er war in jenes asthmatische Schnaufen verfallen, das er leicht bekam, wenn er sich aufregte. Was war mit David los? Warum redete er nicht? Hundertmal hatten sie alles durchgespielt. Es hätte keine Schwierigkeiten mehr geben dürfen. Er sah zu Alan hin, der seine Hände verkrampft hielt, und er sah den Anwalt, der unruhig in seinen

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