Schattenspiel
des Attentats überhaupt nicht in England.«
Die wenigsten glaubten ihr – weil sie ihr nicht glauben wollten. Ein unschuldiger Alan Marlowe nutzte niemandem etwas, man wollte ihn schuldig. Die Stimmung im Volk verlangte einen überführten Täter, der allgemeine Zorn ein Ventil. Wie zu erwarten gewesen war, hatten die Zeitungen des Landes die Emotionen noch weiter aufgeheizt, indem sie die Geschichte der Liz O’Brian detailliert und reich mit Fotos bestückt aufzeigten. Liz mit Puppenwagen. Liz auf einem Pony. Liz mit ihren Eltern am Frühstückstisch. Liz auf der Schaukel. Auf allen Bildern trug Liz helle Sommerkleider und Schleifen im Haar und lachte strahlend.
Eine Story, die bei den Leuten ankommt, hatte Steve gedacht.
Er hatte Liz’ Mutter unter den Zuschauern entdeckt, denn die Frau, die »auf tragische Weise Mann und Kind verloren hat und
durch eine Hölle von Einsamkeit und Schmerz geht« (Sunday Times), war ebenfalls oft genug in den Illustrierten abgebildet gewesen, um erkannt zu werden, auch wenn sie nun eine große, schwarze Sonnenbrille trug und ihren Hut tief ins Gesicht gezogen hatte. Die arme Frau, dachte Steve, wie gut, daß Alan nicht für die furchtbare Geschichte verantwortlich ist! Ihm war bewußt, daß er jetzt einen Meineid leisten würde. Der Staatsanwalt hatte ihn aufgeklärt, was das bedeutete: »Sie stehen jetzt unter Eid, Mr. Marlowe. Für eine falsche Aussage können Sie ins Gefängnis kommen.«
Er nickte und blickte zu David hinüber. Zu David, den man nachher ebenfalls vereidigen würde, der genauso wie er einen Meineid ablegen würde. Aber es konnte nichts passieren, sie hatten die Geschichte hundertmal durchgesprochen. Alan war an jenem verhängnisvollen 4. Juli, dem Tag vor der Bombenexplosion, in St. Brevin gewesen, und zu dritt hatten sie jede einzelne Minute des Tages rückwirkend festgelegt, so lange, bis die perfekte Übereinstimmung bestand. Steve, dessen größte Schwäche es war, nichts allein tun zu können (»Eines Tages«, spottete Gina, »wird er noch einen von uns bitten, ihn aufs Klo zu begleiten!«), entsann sich noch gut der tiefen Erleichterung, die er empfunden hatte, als David alles wußte, ihm die Hand auf den Arm legte und sagte: »Ich helfe euch, Steve, klar. Wir stehen das schon durch!«
»Mr. Marlowe, schildern Sie uns, was sich an jenem 4. Juli bei Ihnen in St. Brevin zugetragen hat!« Das war Staatsanwalt Marsh. Ich mag diesen Marsh nicht, dachte Steve, er ist verschlagen und sehr ehrgeizig. Konservativ bis hinein in seine wenigen letzten Haarspitzen. Ein Mann, für den jeder Freispruch einen Faustschlag bedeutet! Er merkte, wie ihm der Schweiß am ganzen Körper ausbrach. Trotzdem zitterte seine Stimme nicht, als er antwortete: »David Bellino und ich waren am Morgen des 4. Juli allein in dem Haus in St. Brevin. Die beiden Mädchen, mit denen wir Urlaub machten, waren schon in aller Frühe nach Nantes zum Einkaufen gefahren. Wir erwarteten sie erst am Abend zurück.«
»Warum haben Sie sie nicht begleitet?«
»Es war sehr heiß, und wir hatten nicht die geringste Lust, in einer Stadt herumzulaufen. Wir wollten baden und in der Sonne liegen.«
»Mr. Marlowe, Sie haben ausgesagt, daß gegen elf Uhr Ihr Bruder, der hier angeklagte Alan Marlowe, unerwartet bei Ihnen erschienen sei. Ist das richtig?«
»Ja. Wir lagen im Garten, als es an der Haustür klingelte. Ich ging hin und öffnete, und da stand Alan vor mir.«
»Waren Sie sehr überrascht?«
»Ich hatte ihn nicht erwartet. Natürlich war ich überrascht.«
»Woher wußte Ihr Bruder, daß Sie sich in St. Brevin, in diesem Haus aufhielten?«
»Ich hatte es ihm vor meiner Abreise gesagt. Ich hatte ihm Adresse und Telefonnummer gegeben.«
»Tatsächlich? Das wundert mich ein wenig, Mr. Marlowe. Den Aussagen Ihrer Eltern hatte ich entnommen, daß Ihr Bruder eigentlich schon lange kaum noch Umgang mit der Familie hatte!«
»Das ist richtig. Aber wenige Tage nach meinem Abschlußexamen hat er mich angerufen. Er wollte mir wohl... gratulieren. Ich fragte ihn, ob er nicht mit uns nach Frankreich wolle.«
»Warum fragten Sie das?«
»Ich hatte ihn lange nicht gesehen. Es hätte mir Spaß gemacht, ihn dabeizuhaben.« Steve sprach jetzt sehr sicher, denn zumindest dieser Teil der Geschichte stimmte. Er hatte mit Alan telefoniert, er hatte ihn auch gefragt, ob er ihn nach St. Brevin begleiten wollte. Er entsann sich noch gut Alans Antwort.
»Nein, Steve, tu das dir und deinen Freunden nicht an.
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