Schattenspiel
anheimelnden Duft von frischem Kaffee riechen.
Er jammerte leise. Miles stand auf. »Geht’s dir nicht gut?«
»Der stöhnt, weil er so ein Schwein ist!« erklärte Georgio. »Stell dir mal vor, du wärst so ein Schwein, dann würdest du auch stöhnen!«
Die Schmerzen kamen jetzt in Wellen, der Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht. Er rollte sich zur Seite, die Beine angezogen und fest gegen den Körper gedrückt. Unter seinen Augen lagen Schatten.
»Der sieht aber nicht gut aus«, meinte Miles, »der is’ doch krank!«
»Der tut nur so«, tönte Georgio. »He, Stevie, stimmt’s, du tust nur so!«
Halb betäubt raffte er sich auf. Wie durch einen Nebel sah er die Gesichter der anderen, als er durch den Raum wankte. Nur fünf Schritte... fünf Schritte bis zur Erlösung.
Er spürte die Ungläubigkeit, mit der ihm die anderen zusahen. Sie hatten wohl erst gedacht, er werde sich erbrechen, aber dann merkten sie, was es wirklich war, und nach einer Sekunde des Schweigens brachen sie in brüllendes Gelächter aus.
»Der is’ gar nich’ krank! Der mußte mal!«
»Das gibt’s doch nicht! So was Blödes wie den gibt’s doch einfach gar nicht!«
Sie warfen sich auf die Betten, sie schlugen sich auf die Schenkel, sie schrien vor Lachen.
Auf einmal dachte Steve: Ich werde es nicht aushalten. Keine zwei Jahre lang. Ich werde mich vorher umbringen.
Nachts weinte er oft. In der Zelle standen zwei doppelstöckige Betten, er hatte das unter Birdie bekommen. Von dort blickte
er immer zu dem vergitterten Fenster hin. Er beobachtete, wie der schwarze Himmel dahinter gegen Morgen allmählich heller wurde, von einem dunklen Grau in ein fahles Grau überging, und dann, in diesen ersten warmen Septembertagen des Jahres 1979 ein strahlendes Blau annahm. Ob es leichter wäre, wenn es regnen würde? fragte er sich. Aber nein, es wäre nicht leichter. Ob es eine warme Nacht war, in der lockende Stimmen aus dem Dunkel zu flüstern schienen, oder eine regenschwere kühle Dämmerung – es war das Leben, und es ging da draußen an ihm vorüber. Er wußte, daß die Herbstblumen im Park von Saint Clare jetzt wild und leuchtend blühten und daß die Hitze auf den Straßen von London sanfter wurde, aber er bezog seine Gedanken nur aus der Erinnerung, sie bekamen keine neue Nahrung. Für immer würde es von nun an in seinem Leben diesen blassen Fleck geben, der seine Gefängniszeit darstellte, und er ahnte, daß danach nichts mehr sein würde wie es gewesen war.
Es waren Wochen vergangen, und die Nächte wurden länger, die Tage kürzer. Der Dezember kam mit Kälte und Nebel. An einem dieser düsteren Tage, an denen es nie richtig hell wurde und der Himmel schneeschwer über London lastete, kamen Steves Eltern zu Besuch. Sie teilten ihrem Sohn mit, daß sie England verlassen und nach Amerika gehen würden.
Steve konnte es nicht glauben, was er hörte. »Was?«
Grace saß ihm in ihrem neuen Pelz gegenüber, die Beine eng am Körper, die Hände im Schoß verkrampft. Es schien, als wolle sie so wenig wie möglich mit dem in Berührung kommen, was sie hier umgab. Sie wirkte völlig fehl am Platz, sah aber auch in diesem häßlichen, kalten Licht des Besucherraumes wie eine schöne Puppe aus. »Steve, versteh uns bitte. Unsere beiden Söhne im Gefängnis. Wir können uns nirgends mehr blicken lassen. Neulich hat man mich in einer Boutique nicht mal mehr gegrüßt... « Grace biß sich auf die Lippen, ihre Augen glänzten feucht. »Es ist so schrecklich, von allen nur verachtungsvoll behandelt zu werden. Wir...wir müssen neu anfangen, weit weg, wo man uns nicht kennt...«
Bleich wie ein Geist sah Steve seinen Vater an. »Dad...«
Sein Vater wich seinem Blick aus. »Deine Mutter hat recht. Wir haben hier keine Heimat mehr.«
»Aber...ihr könnt jetzt nicht weg! Nicht solange ich noch hier bin! Ihr könnt mich nicht allein lassen. Ich brauche euch!«
Grace sah gequält aus, aber nicht so, als werde sie nachgeben. Zum erstenmal erkannte Steve – ohne daß er es sich in diesem Moment bewußt machte —, daß in seiner Mutter etwas Stählernes verborgen lag, das nichts mit ihrer sanften Stimme und den verträumten blauen Augen zu tun hatte.
»Steve, du mußt das wirklich verstehen. Du kannst nicht unser Leben zerstören. Du hast uns so viel Schlimmes angetan...«
»Was habe ich denn getan! Ich wollte Alan schützen! Alan ist mein Bruder, er ist euer Sohn! Es war euer Sohn, für den ich das getan habe!«
»Alan«,
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