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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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unverblümtes Protzen mit ihrem Reichtum auszugleichen suchte. Ich glaube nicht, daß es einen Menschen auf der Welt gibt, der sie jemals ohne komplettes Make-up gesehen hat, auch nicht mein Vater, der das zu ihrem Leidwesen jedoch nicht einmal zu schätzen wußte, da er jeder Kuh auf dem Gut intensiver ins Gesicht schaute als seiner Frau. Ihre Zeit und ihr Denken widmete Mum der komplizierten Tätigkeit, modisch stets auf dem laufenden zu sein und mit ihrem Schmuck den Glanz aller anderen Frauen zu überstrahlen; unglücklicherweise hatte sie dabei einen Hang zur Geschmacklosigkeit,
der sie mehr als einmal zur komischen Figur machte, und es wird ihr ein lebenslanges Rätsel bleiben, warum die Leute eher über sie kicherten als ihr zu Füßen lagen.
    Aus irgendeinem Grund hätte sie es viel eleganter gefunden, einen Sohn zu bekommen als eine Tochter, und die Tatsache, daß ich als weibliches Geschöpf zur Welt gekommen bin, wird sie mir nie verzeihen. Ich war kein niedliches Kind, keines zum Angeben. Schon mit zwölf Jahren war ich ziemlich hoch aufgeschossen, ich hatte einen hellen Teint und etwas zu starke Oberschenkel. Zu allem Überfluß liebte ich Bücher und komplizierte Mathematikaufgaben und Diskussionen mit Menschen, die eine andere politische Meinung hatten als ich. Meine Eltern schickten mich in ein exklusives Internat, und es fiel mir nicht schwer, ihnen mit guten Leistungen eine Freude zu machen. Ich trottete sogar jeden Sommer anstandslos mit nach Ascot, aber nur, weil mich das Gehabe amüsierte, mit dem meine Mutter ihren Schmuck und ihren neuen Hut vorführte, und ihr hysterisches Kichern, wenn unerwarteterweise die Herzogin von Kent oder Prinzessin Margaret das Wort an sie richteten.
    Ich wurde hübsch, nachdem ich meine ersten gräßlichen Teenagerjahre überstanden hatte, und wie durch ein Wunder bekam ich schlanke Beine und —ja, vielleicht hätte ich doch eine Traumtochter sein können, aber dann machte ich Liebe mit Frauen und wurde Journalistin und jagte nach beruflicher Anerkennung, und dann passierte das entsetzliche Verbrechen in Crantock, und seit jener Nacht ist meine Psyche ein Dreckhaufen, und das verfluchte Valium tut sein Übriges...«
    An der Stelle brach Natalie ab und zerriß, was sie geschrieben hatte, denn ihr ging auf, daß das alles keinen Menschen etwas anging. Sie beschloß, einen zweiten, wohlüberlegten Text zu verfassen, und das einzige, was sie von dem ersten übrigbehielt, war der Anfang: »Ich bin Natalie Quint.« Sie stellte sich immer auf diese Weise vor, nie sagte sie einfach nur ihren Nachnamen oder: »Ich heiße Natalie Quint.« Sie sagte: »Ich bin Natalie Quint«, was ihrem jeweiligen Gegenüber das Gefühl gab, man müsse sie eigentlich kennen. Der Effekt war, daß man sie tatsächlich
kannte. Es hieß von ihr, sie sei eine ebenso schöne wie intelligente Frau, aber sie galt auch als schwierig und launisch. Sie schluckte zuviel Valium.
    2
    Als junges Mädchen hatte sich Natalie nie für Jungs interessiert, aber sie hatte nicht daran gedacht, daß sie lesbisch sein könnte. Diese Möglichkeit lag außerhalb ihrer Welt. Natürlich hatte sie davon gehört und gelesen, es aber für sich nie in Erwägung gezogen. Sie konnte auch keine Symptome bei sich entdecken. Einmal in Saint Clare, sie war siebzehn, saß sie beinahe eine Nacht lang in Ginas Bett, und die beiden Mädchen redeten über all die Dinge, die sie bewegten, in einer Atmosphäre von Intimität und Vertrauen, wie sie nur in seltenen, kostbaren Stunden entsteht. Irgendwann nach Mitternacht hatte Natalie das Gefühl, sie würde gern Ginas Hand halten, aber sie tat es dann nicht, und später sagte sie sich, es sei nur eine Gefühlsaufwallung gewesen, die sich aus der Situation ergeben habe.
    Als sie alle das Abschlußexamen bestanden hatten, fuhren sie nach Frankreich, in zwei völlig überladenen, gefährlich schaukelnden Autos. Sie waren erschöpft vom Lernen, gestreßt von der Examensangst, und auf der ganzen Fahrt träumten sie davon, wie herrlich es sein müßte, am Strand zu liegen und im Meer zu baden, sie träumten von Sonne und blauem Himmel, aber als sie schließlich in St. Brevin eintrafen – um ein Uhr mittags, sie hatten Hunger und waren müde –, begann es zu regnen, die Küste versank im Nebel, und die Feuchtigkeit drang auf geheimnisvolle Weise durch die Wände des Häuschens, so daß abends die Betten kalt und klamm waren und ein heftiger Wettstreit um die einzige vorhandene Wärmflasche

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