Schattenspiel
Burgen und Sonnenuntergängen herstellte, seine Werke zu verkaufen, und kassierte pro Bild eine Provision von fünfzehn Prozent. Erstaunlicherweise fanden sich immer wieder Käufer, die weder von den goldverschnörkelten Rahmen noch von den posauneblasenden Engeln in allen vier Ecken abgestoßen wurden, so daß Gina von den Einnahmen ihre Miete bestreiten und sich halbwegs vernünftig ernähren konnte. Peggy fand zur gleichen Zeit einen Job bei McDonalds und konnte Gina ab und zu einen Cheeseburger oder ein paar Pommes frites zustecken.
Was die Unterkunft anbetraf, so war sie alles andere als luxuriös, aber Gina fühlte sich dort geborgener als in dem schäbigen Hotelzimmer. Ed und Rosy, ihre Vermieter, hatten ein Leben lang wenig besessen, nun im Alter besaßen sie noch weniger, und sie waren so blind, daß sie nicht bemerkten, wie in allen Ritzen der Dreck klebte, und überall die Kakerlaken herumkrochen. Gina wußte, daß ganz New York kakerlakenverseucht war, aber sie war überzeugt, daß andere Familien besser mit dem Problem fertig wurden. Sie versuchte in ihrem Zimmer jeden Spalt, jedes kleinste Loch in der Wand abzudichten, aber ihr mußte nur ein Brotkrümel herunterfallen, schon hatte sich Minuten später das lästige Ungeziefer wieder auf geheimnisvolle Weise eingeschlichen. Da es sich ohnehin nur um eine winzige, finstere Kammer handelte, deren Fenster auf einen Schacht hinausging, an dessen weit entferntem oberen Ende ein Fetzen Himmel schimmerte, fand sie sich resigniert mit den übrigen unangenehmen Begleiterscheinungen auch noch ab. Wie viele Leute, die reich geboren werden, hatte Armut für sie etwas Unreales, und sie hielt sie für eine so vorübergehende Krankheit wie einen Schnupfen. Im Inneren glaubte sie an ihr günstiges Schicksal und hatte das Gefühl, die neue Welt schon fast bezwungen zu haben.
4
John Eastley stammte aus San Francisco, aus einer Familie, die seit den Tagen der ersten Pioniere dort ansässig war. Seine Vorfahren waren zu Pferd und mit Planwagen über die Rocky Mountains und durch die Salzwüsten in den Westen gekommen, und Johns Vater, der eine politische Karriere angestrebt hatte, versäumte es nie, darauf hinzuweisen, daß es gewissermaßen seine Ahnen gewesen waren, die Kalifornien urbar gemacht hatten. In den USA, und ganz besonders im Westen, galt das etwas.
Johns Vater hatte seinen Weg in der Republikanischen Partei gesucht, aber ein Schlaganfall kurz vor seinem dreißigsten Geburtstag
hatte seine Träume beendet, ehe er mit ihrer Verwirklichung hatte beginnen können. Seine Trauer, seine Frustration, seinen brennenden Schmerz, den ihm das Bewußtsein seiner Niederlage jeden Tag von neuem zufügte, setzte er um in Hoffnung. Hoffnung, daß sein Sohn erreichen würde, was dem Vater versagt geblieben war.
In jeder Hinsicht, immer und überall mußte John der Erste sein, der Beste und Größte. Die besten Schulen des Landes waren gerade gut genug für ihn. Er glänzte in allen Fächern, war natürlich Jahrgangssprecher, Captain der Footballmannschaft und ein hervorragender Tennisspieler. Er legte phantastische Examina ab und bekam einen Studienplatz an der Pariser Sorbonne und später einen in Tokio. Er studierte Politologie, Geschichte und Jura und beendete sein Studium an der Columbia Universität in New York. jedesmal, wenn er mit der Nachricht eines neuen Triumphes nach Hause kam, schien es wie ein Stromstoß durch den alten Eastley zu gehen, und er fand wieder Kraft, sein Leben, das im wesentlichen aus Klinik- und Kuraufenthalten bestand, zu ertragen. Er war ein starker, stolzer Mann gewesen, der seiner schönen Frau lieber ein ewiger Verführer gewesen wäre, als sie frühzeitig zu seiner Krankenschwester zu machen.
»Aber du«, sagte er zu John, »du schaffst es. Du tust alles, was ich tun wollte und nicht konnte. John, eines Tages werde ich stolz auf dich sein!«
Manches Kind wäre unter diesem Druck zerbrochen, aber er hatte von seiner Mutter, die aus Savannah stammte und durch und durch Südstaatlerin war, ein stählernes Rückgrat geerbt und die Fähigkeit, seine Kräfte nicht mit Jammern zu verschleißen, sondern das Beste aus den Umständen zu machen. Sein Vater wollte, er sollte ein Sieger sein, und er sah die Vorteile ein, die sich daraus für sein Leben ergeben würden.
Mit siebenundzwanzig Jahren lernte er Veronique Lasalle kennen, Tochter einer französischen Familie aus Louisiana. Es hatte vorher ein paar Geschichten gegeben, nichts Ernstes,
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