Schattenspiel
Weiß gekleidet, bewegten sich voller Eleganz und trugen Körbe mit duftenden Baguettes vor sich her. Der Mann setzte sich so, daß er die Tür im Auge behielt, und Gina setzte sich so, daß sie ihn im Auge behielt. Sie bestellte sich Pancakes und einen Kaffee, was den Rahmen ihres Budgets weit überstieg, aber immerhin eine schmackhafte Abwechslung zu ihrem üblichen Fast Food bedeutete. Sie schüttete Unmengen von Sirup über die Pancakes und begann mit gutem Appetit zu essen.
Der Fremde schien nach und nach ruhiger zu werden. Hin und wieder richteten sich seine Augen auf Gina. Schließlich stand er auf und trat an ihren Tisch. »Verzeihen Sie«, sagte er, »es ist wahrscheinlich keine sehr originelle Idee, um mit Ihnen ins Gespräch zu kommen, aber ich habe mich tatsächlich schon vorhin in der Kirche gefragt, was sich in dem Paket befindet, das Sie ständig mit sich herumtragen.« Er wies auf die Bilder.
Gina lauschte fasziniert seiner Stimme; sie war warm und tief, eine Stimme, wie Katzen sie lieben, und Gina kam es vor, als sei sie in den letzten Wochen zu einer streunenden Katze geworden. Sie verfiel seiner Stimme, noch ehe irgend etwas zwischen ihnen geschehen war.
»Bilder«, antwortete sie auf seine Frage und wußte nicht, daß ihre Augen in dieser Sekunde anfingen, ihm die schönsten Versprechungen zu machen.
»Bilder? Sind Sie Malerin?«
»Oh, nein. Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Pinsel in der Hand gehabt. Ich verkaufe diese Bilder nur.«
»Aha – eine Händlerin!«
»Eine Straßenhändlerin. Ich drehe die Dinger den Spaziergängern im Central Park an und von der Provision lebe ich. Mehr schlecht als recht, aber immerhin.«
An ihrer Aussprache hatte er sie inzwischen als Engländerin identifiziert, und es war ihm auch längst klar, daß er kein einfaches Mädchen vor sich hatte. Eine Studentin, vermutete er, die nebenher jobbte.
»Darf ich die Bilder einmal sehen?« fragte er. »Vielleicht kaufe ich dann auch eines.«
Gina musterte ihn spöttisch, seinen eleganten Anzug und seine gutgeschnittenen Haare, und sie nahm sein After Shave wahr, das zweifellos teuer gewesen sein mußte. »Ich glaube nicht«, meinte sie, »Sie haben Geschmack.«
Sie wickelte das oberste Bild aus, eine Burgruine auf einem herbstlich bewaldeten Berg. Hinter den Zinnen ging rotglühend die Sonne unter, und über dem Turm flatterte ein schwarzer Vogel. John Eastley schnappte nach Luft. »Ach...«, sagte er überrascht.
Sie starrten beide auf das Bild, und plötzlich mußte Gina lachen. Sie lachte ihr kräftiges, ausdauerndes, mitreißendes Lachen, und schließlich stimmte John mit ein. »Wer ist der Künstler?« erkundigte er sich.
»Billie Hawkins. Sie werden ihn vermutlich nie im Metropolitan Museum ausstellen, aber er macht durchaus Geld mit seinen Werken. Zwanzig Dollar, dieses Ding.«
John betrachtete es eindringlich, dann griff er nach seiner Brieftasche und wedelte mit ein paar Dollarscheinen herum. »Ich kaufe es. Als Souvenir. Zur Erinnerung an einen sehr kalten Dezembermorgen und an eine sehr schöne junge Frau.«
Sie nahm das Geld und schob ihm Billies Bild zu, und ihre Augen waren sehr golden im weißen Licht des Mittags. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, setze ich mich zu Ihnen, und wir trinken
noch einen Kaffee«, sagte er. »Ich heiße übrigens John Eastley. «
»Ich heiße Gina Loret.« Und es kann sein, ich verliebe mich in dich, fügte sie in Gedanken erstaunt hinzu.
Wenn es Zufälle gibt, dann wurde die Liebe zwischen John und Gina aus einem Zufall geboren, am kältesten Tag des Jahres, in einem kleinen Cafe irgendwo in den Straßen von Manhattan. Wann genau war es bei ihm geschehen? John wußte es nie genau zu sagen. Bereits in der Kirche, als sich ihre Blicke trafen? Im Cafe, als Gina völlig ausgehungert ihre Pancakes verschlang und der Sirup an ihren Fingern klebte? Als sie ihm das Bild des Billie Hawkins zeigte und auf einmal laut und hemmungslos zu lachen anfing? Irgendwann war es passiert. Es hatte so kommen sollen, und John, der nach Veronique nur noch vernünftig und vorsichtig hatte sein wollen, begriff, daß er keine Wahl hatte. Gina war die Liebe seines Lebens.
Er zeigte ihr sein New York. Er hatte geschäftlich in der Stadt zu tun gehabt und eigentlich gleich wieder nach Los Angeles, seinem derzeitigen Wohnsitz, fliegen wollen, aber nun blieb er und dachte gar nicht mehr an Kalifornien. Sie aßen im berühmten Rainbow Room des Rockefeller Center zu Abend und tanzten zu
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