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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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sacht ihre nackten Beine, und sie zuckte sofort zurück und starrte ihn an.

    »Veronique«, sagte er leise, »es tut mir leid.«
    »Was denn?« fragte sie teilnahmslos.
    Daß ich dein Leben zerstört habe, wollte er antworten, doch er sprach es nicht aus. Statt dessen sagte er: »Ich würde gern mit dir schlafen, Veronique.«
    »Ach, John...«
    »Du mochtest es einmal genauso gern wie ich, weißt du das nicht mehr?«
    »Das ist lange her. Das war in einer anderen Zeit.« Ihr Blick verlor sich irgendwo an der gegenüberliegenden Wand, und wahrscheinlich entstand vor ihren Augen ein Bild aus der vergangenen Zeit; ein junges Mädchen in New Orleans, das sich in einen Mann aus Kalifornien verliebte und glaubte, von nun an das Glück gepachtet zu haben. Das ganze Ausmaß ihrer Täuschung mußte ihr an diesem Abend aufgegangen sein, und nun sah sie vor sich eine endlose Reihe grauer, kalter Jahre, die sie in Entzugskliniken und unter dem unausgesetzten Terror ihres Schwiegervaters verbringen würde.
    Am nächsten Abend, in ihrem Schlafzimmer in San Francisco, setzte sie ihrem Leben ein Ende.
    Es gelang dem alten Eastley, die Angelegenheit weitgehend zu vertuschen und den Tod seiner Schwiegertochter mit einer Fehlgeburt zu erklären, aber die Gerüchteküche brodelte dennoch, und mancher Journalist kam in seinen Vermutungen der Wahrheit gefährlich nahe.
    »Das wirft dich zurück, John«, sagte Eastley grimmig, »das wirft dich zurück, aber – es erledigt dich nicht. Nur, du darfst jetzt keinen Fehler mehr machen. Du bist siebenunddreißig, das ist nicht mehr allzu jung. Wenn du – nach einer angemessenen Zeit natürlich – ein zweites Mal heiratest, muß es diesmal die Richtige sein.«
    5
    Gina schleppte noch immer Tag für Tag die Kitschbilder des Billie Hawkins in den Central Park, um sie dann an irgendeiner Ecke aufzubauen und den Vorübergehenden anzubieten. Nach jeweils drei Stunden wechselte sie ihren Standort. Zum Glück wogen die Gemälde in den leichten Holzrahmen nicht zu schwer, aber sie waren groß und sperrig, und insgesamt war es kein leichter Job. Gina wurde immer dünner und bekam kräftige Arme. Sie war jetzt seit über einem Jahr in New York und dachte, allmählich müßte sich irgend etwas in ihrem Leben ändern.
    Es war am letzten Sonntag vor Weihnachten, als sie, ohne es eigentlich zu wollen, in einer Kirche landete und sich, da sie nun schon mitten in die Predigt geplatzt war, in eine der hintersten Bänke setzte und den Worten des Pfarrers lauschte. Es war mörderisch kalt draußen, ein eisiger Wind tobte vom East River her in die Stadt, und Gina, die seit dem frühen Morgen Bilder verkaufte, hatte sich eigentlich nur einen Moment lang ausruhen und aufwärmen wollen. Später, wenn sie an diesen Sonntag zurückdachte, hatte sie den Eindruck, daß ihr Schicksal sie zielstrebig und unvermeidlich in jene Kirche geführt hatte.
    Es war der Tag, an dem sie John Eastley traf.
    Aus zwei Gründen fiel er ihr auf: Er wirkte ungewöhnlich nervös, seine Hände, die das Gesangbuch hielten, zitterten leicht, und seine Füße standen kaum einen Moment lang still. Und zum anderen fesselte sie sein Gesicht. Er hatte eines der ebenmäßigsten Profile, das sie je gesehen hatte. Er sprach die Gebete nicht mit, und da Gina das auch nicht tat, trafen sich plötzlich ihre Blicke. Er muß ungefähr vierzig sein, dachte Gina. John erzählte ihr später, er habe gedacht: Sicher eine Europäerin. Sie haben so unheimlich schöne Frauen drüben in Europa.
    Nach dem Gottesdienst folgte sie ihm. Sie ging ihm nach, als sei sie magisch von ihm angezogen. Er trug einen dicken, anthrazitgrauen Wintermantel und einen gleichfarbigen Schal um den Hals. Zielsicheren Schrittes ging er die Park Avenue hinauf,
und Gina, mit ihrem Stapel Bilder unter dem Arm, trottete in einigem Abstand hinter ihm her. Glücklicherweise hatte sie nicht ihre abgewetzten Jeans und den alten Parka an wie sonst, sondern ein enges, dunkelgrünes Strickkleid, grüne Wildlederstiefel und ihren braunen Wildledermantel. Die Sachen stammten noch aus ihren Saint-Clare-Zeiten und waren hochelegant. Gina fror erbärmlich.
    Der Mann steuerte ein kleines Frühstückslokal in der 95. Straße an. Es bestand aus einem kleinen Raum, dessen Tapete, Vorhänge, Decken und Kissen alle im selben Blumenmuster gehalten waren, und es gab braune oder weiße Tische und Stühle, alles entzückend altertümlich und verschnörkelt. Die Ober, zwei bildschöne, junge Männer, ganz in

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