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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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schön«, sagte der alte Eastley zu seinem Sohn. Er saß im Rollstuhl am Fenster seines Arbeitszimmers. John hatte ihm Gina vorgestellt – eine nervöse, durch und durch verliebte Gina, die ihn sofort um den Finger wickelte. »Sie ist schöner als meine Maybelle in diesem Alter war, und sie war das schönste Mädchen in den Vereinigten Staaten.« Eastley blickte zur Tür, durch die Gina verschwunden war. Wahrscheinlich wußte sie, daß man jetzt über sie sprach, aber es kümmerte sie nicht, weil sie wußte, daß sie es sich leisten konnte.
    Diese langen Beine, dachte Eastley. Es gefiel ihm, daß sie ausgreifende Schritte machte. Gräßlich, diese Miezen, die herumtrippelten und mit den Wimpern klimperten. Koketterie lag Gina nicht, ihr Charme war von herber, spröder Art.
    »Sie liebt dich leidenschaftlich, John. Sie würde sich für dich in Stücke reißen lassen. Allerdings...«
    »Was denn?«
    »Was weißt du über ihr Vorleben?«
    »Keine Affären. Jedenfalls keine ernsten, wenn du das meinst, Vater.«
    »Soso. Aber das sagt noch nichts. Sie ist exzentrisch, tiefgründig, schwierig. Keineswegs das nette, unkomplizierte Mädchen, als das sie hier eben aufzutreten versuchte. Sie ist genau der Mensch, der nicht ohne ein paar dunkle Punkte durchs Leben geht.«
    »Vater...«
    »Sei ein bißchen vorsichtig, John. Du kannst dir keinen zweiten Fehler leisten. Du willst eines Tages Gouverneur von Kalifornien sein, nicht?«
    »Ja.«
    »Dann...« Eastley dachte nach, schien in sein Inneres zu horchen. Wie aus einem plötzlichen Instinkt heraus sagte er: »Heirate sie noch nicht, John. Warte ein Jahr, dann kannst du dich verloben, und dann warte noch ein Jahr, ehe du sie heiratest. Tu
nichts Überstürztes. Ehrgeiz schließt Leichtsinn aus.« Mit seinen gichtigen Fingern umklammerte er die Armlehnen seines Rollstuhls, und John wußte, daß ihn jetzt die Erinnerung an seinen eigenen glühenden Ehrgeiz aus lang vergangenen Tagen gepackt hatte. Seine alte, rauhe Stimme, einst in Rhetorikkursen geschult, klang tief und mitreißend. »Ich will es erleben, John, ich will es erleben, wie du vor dem Capitol in Washington stehst und den Eid sprichst, der dich zum mächtigsten Mann der westlichen Welt macht. Zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.«
     
    Sie blieben drei Tage bei Johns Familie in San Francisco, und unter Johns Führung entdeckte Gina die »Stadt der goldenen Hügel«. Sie fuhren über die zwölfhundert Meter lange Golden Gate Bridge nach Sausalito, sie schauten von Twin Peaks auf die Stadt hinunter und besichtigten die City Hall, die Louise M. Davis Hall und das Museum of Modern Art. Sie drängten sich durch das Gewühl der hektischen Grand Street in China Town, dem größten ausländischen Chinesenviertel der Welt, und abends aßen sie zwanzig Stockwerke hoch im »Top of the Mark«, von wo man einen wunderbaren Blick auf die lichterglänzende Stadt hatte. Gina konnte sich kaum vorstellen, daß diese gewaltige Metropole 1906 durch ein Erdbeben und Feuer fast völlig zerstört gewesen sein sollte, aber John sagte, man rechne sogar mit ähnlich katastrophalen Beben in diesem Jahrhundert. Es machte Spaß, mit einem Cable Car über den Nob Hill zur Fisherman’s Wharf zu rattern und dort an den Tischen und Ständen der Hippies entlangzuschlendern, übriggebliebene Blumenkinder, die Schmuck und Lederarbeiten ausstellten.
    »Verlieb dich nur nicht zu sehr in San Francisco«, mahnte John, als er Ginas begeistertes Gesicht sah, »du weißt, wir wohnen in Los Angeles!« Sie hätten nach Los Angeles fliegen können, aber da Gina noch nie in Kalifornien gewesen war, meinte John, sie sollten ein Auto mieten und den Highway am Pazifik entlang in Richtung Süden fahren. Den ersten Zwischenaufenthalt
machten sie in Monterey; Gina hatte Steinbeck immer geliebt und wollte unbedingt die berühmte »Straße der Ölsardinen«, die »Cannery Row« sehen. Sie besichtigten das »Hearst Castle«, das monströse, wie ein griechischer Tempel anmutende Schloß, das sich der Zeitungskönig hatte errichten lassen und das Orson Welles zu »Citizen Cane« inspiriert hatte. Und sie übernachteten im »Madonna Inn«, das selbst ausufernde Phantasien übertraf. Der hier zusammengetragene und aufgetürmte Kitsch war so schaurig, daß er fast schon wieder Stil hatte.
    »Wahnsinn!« sagte Gina und setzte sich auf einen Stuhl, dessen Rückenlehne als Herz geformt war. »Man bekommt solche Dinge über Amerika erzählt, aber man glaubt nie,

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