Schattenspiel
daß es das wirklich gibt!«
John grinste. »Warte, bis wir Disneyland sehen! Ich sage dir, du wirst nicht enttäuscht sein.« Er nahm ihre Hände und zog sie von ihrem Stuhl mit der herzförmigen Lehne hoch. »Und ich werde dich auch nie enttäuschen«, fügte er leise hinzu. »Ich schwöre es dir, Gina, du sollst nie traurig sein meinetwegen. Ich will dir nie Kummer machen.«
7
Sie lehnte in der Verandatür und lauschte auf Johns verklingende Schritte. Das Licht, das von draußen in das Zimmer flutete, hatte die warme Farbe des Abends. Dunkles Gold, das sanfte Feuer, das sich in einem Bernstein fing. Es hüllte den Raum in einen rötlichen Schein. Plötzlich schien alles intensiver geworden zu sein: Farben, Klänge, Gerüche. Die Vögel draußen schrien triumphierend, der Duft der Rosen wurde süßer und wilder. Gina konnte die feinen, flimmernden Wassertropfen der Rasensprenganlage erkennen, die einen hohen Bogen durch die Luft beschrieben. Ein Jahr. Ein Jahr mit John in Kalifornien. Eine Zeit, die sie hatte verdrängen lassen, was an Schlimmem gewesen war: der Autounfall. Großmutters Tod. Tante Joyce und
das Haus, in dem es immer nach Blumenkohl roch. Die langen Nächte mit Onkel Fred in der Kneipe, wo er soviel trank, daß er seine Depressionen ertragen konnte. Alles gehörte einem anderen Leben an; unter der Sonne waren die dunklen Tage dahingeschmolzen, aber Gina begriff, daß es sie trotzdem gab. Wie aus weiter Ferne winkten sie ihr zu, Gespenster, die sich selber überlebten. Ein Gedanke kam ihr, den sie schon einmal gehabt hatte, in einer kalten Januarnacht in New York, und der sie damals wie heute mit demselben Schrecken erfüllte: Ich darf John nie verlieren ! Sie starrte auf das Bett. Heute morgen war sie darin erwacht, so sorglos und glücklich wie an all den Tagen zuvor. Sie und John wachten immer gleichzeitig auf, so als spüre es der eine bis in den Schlaf, wenn die Atemzüge des anderen einen neuen Rhythmus annahmen. Johns Gesicht sah blaß und verletzbar aus, wenn er die Augen aufschlug. Gina liebte es, wenn seine Hand unter die Decke glitt und sich zärtlich auf ihren Körper legte. Mir kann nie mehr etwas geschehen, nie mehr, dachte sie dann.
Idiotin, die ich bin! Kein Mensch ist jemals unverwundbar.
Sie fischte eine Zigarette aus ihrer Rocktasche und zündete sie an. Der Morgen glitt durch ihr Gedächtnis – ein Morgen zuerst wie immer. Sie hatte mit John draußen im Garten gefrühstückt und über einen Film gesprochen, den sie im Kino sehen wollte, dann war John in die Kanzlei gefahren. Gina zog Shorts und T-Shirt an und machte einen langen Spaziergang mit Lord, Johns eisgrauem Husky, der die blauesten Augen hatte, mit denen je ein Hund herumgelaufen war.
Während sie durch die stillen Straßen von Beverly Hills ging, entlang der blühenden Gärten, die hinter hohen Mauern träumten und jeder für sich ein eigenes kleines Paradies darstellte, dachte sie, wie sehr sich ihr Leben verändert hatte. Es schien ihr eine Ewigkeit herzusein, seit sie mit halberfrorenen Händen im Central Park in New York gestanden und Billie Hawkins’ schreckliche Bilder verkauft hatte, seit sie Abend für Abend in ihre ärmliche Kammer mit dem unausrottbaren Ungeziefer zurückgekehrt war. Und jetzt lebte sie in Beverly Hills! Sie hatte
es Tante Joyce geschrieben, aber keine Antwort bekommen. Wahrscheinlich platzte die vor Neid.
Als sie zurückkam, beschloß sie, sich an den Schreibtisch zu setzen und eine Geschichte zu schreiben. Sie schrieb regelmäßig für verschiedene Zeitungen, Kurzgeschichten und Kolumnen, manchmal auch Krimiserien. Auf den Einfall war sie gekommen, als sie sich daran erinnerte, daß Natalie sich noch während der Schulzeit auf diese Weise Geld verdient hatte, und sie dachte, es könnte nicht schaden, es ebenfalls zu probieren. Zu ihrer Überraschung kamen ihre Sachen gut an. Sie duschte, schlüpfte in ein bequemes Baumwollkleid und wollte gerade auf die Jagd nach ihrem silbernen Kugelschreiber gehen – Lord trug ihn immer weg –, als das Telefon klingelte.
»Loret.«
»Bellino. David Bellino. Erinnerst du dich, Gina?«
Ob sie sich erinnerte? Sie schnappte nach Luft. »David? Wo steckst du? Du klingst so nah!«
»Richtig, mein Herz.« Er schien bester Laune. »Ich bin nicht nur in Amerika, nicht nur in Kalifornien – ich bin sogar in Los Angeles. Genauer gesagt: Im Bei Air Hotel. Kennst du das?«
»Ja.«
»Gina, ich könnte mich in ein Taxi werfen und zu dir kommen. Wenn es
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