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Schattenspieler (German Edition)

Schattenspieler (German Edition)

Titel: Schattenspieler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Michael Römling
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in der Ferne mehrmals die Sirenen.
Artillerie, Flak und Bombermotoren mischten sich zu einem
brummenden Brei, der von irgendwo hereinwaberte, ohne
wirklich in die Nähe zu kommen. Irgendwann rollte ein Lautsprecherwagen
durch die Straße und bellte Parolen, die hohl
und blechern von den Hauswänden widerhallten.
    Schließlich begann es wieder zu dämmern, und jetzt erst
merkte Leo, dass er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte.
Nun aber meldete sich der Hunger umso heftiger und sein
Magen knurrte. Leo durchstöberte die Schränke in der Küche,
ohne viel zu finden, bis ihm einfiel, dass Wilhelm im Keller
eine Kartoffelkiste und ein Regal voller Einmachgläser stehen
hatte. Er griff sich eine Jacke und trat ins Treppenhaus.
    Oben hing immer noch die Strickleiter. Leo achtete nicht
weiter darauf, sondern nahm ein paar Stufen, lauschte und
eilte weiter, trotz der Schmerzen in seinen Gliedern, die sich
mit jedem Schritt wieder stärker bemerkbar machten. Vierter
Stock, dritter Stock, zweiter Stock, Erdgeschoss, vorbei an
den ausgebrannten Wohnungen der Nachbarn, die es nicht
mehr gab. Die Keramikfliesen im Korridor glänzten matt im
Licht, das durch die Haustür fiel. Die Treppe zum Keller war
stockdunkel.
    Aber Leo kannte sich aus. Er tastete sich den Kellerflur entlang,
fand zuerst das Regal und dann die Kartoffelkiste.
    Plötzlich hörte er ein Geräusch aus dem Erdgeschoss. Seine
Nackenhaare stellten sich auf. Da kam jemand. Schon wieder
eine Patrouille, die die Keller nach Deserteuren durchkämmte?
Oder einfach nur ein umherirrender Ausgebombter
auf der Suche nach Nahrung? Leos Muskeln spannten sich an.
    Stimmen erklangen auf der Kellertreppe. Eine Lampe
flammte auf. Und dann standen sie da, zu zweit, keine zehn
Schritte von Leo entfernt erschienen sie am Fuß der Treppe.
Eine Lampe flammte auf, und der Lichtkegel, an dessen Rand
eine Armbinde mit Hakenkreuz aufschien, traf Leo genau ins
Gesicht.
    »Haste Töne?«, sagte eine gehässige Stimme. »Noch so 'n
Drückeberger!«
    »Ick weeß jarnüsch, ob wa für den noch 'n freien Laternenmast
finden!«, sagte der andere. Man hörte, dass er dabei
grinste. Sie machten einen Schritt auf ihn zu.
    Aber Leo war schneller. Mit einem Sprung war er aus dem
Lichtkegel, und bevor die beiden verstanden, was geschah,
riss er das Regal mit den Einmachgläsern um und rannte, so
schnell er konnte. Hinter ihm knirschte und klirrte es ohrenbetäubend,
als das Regal vor die gegenüberliegende Wand des
Flurs krachte und der gesamte Inhalt auf den Boden kippte.
Der Lichtkegel tanzte an der Wand entlang und die beiden
SA-Männer fluchten wie die Bierkutscher; einer rutschte aus
und fiel mitten in die Scherben. Er brüllte wie am Spieß,
während der andere offenbar versuchte, das Regal zur Seite
zu drücken, das sich zwischen den Wänden des Korridors verkeilt
hatte.
    Das Chaos gab Leo die paar Sekunden, die er brauchte. Er
spurtete den Gang entlang, an dessen Ende ein Loch in die
Wand geschlagen war, um verschütteten Bewohnern nach
einem Bombenangriff über das Nachbarhaus einen Weg ins
Freie zu öffnen. So war fast über die ganze Länge der Straße
ein Haus mit dem anderen unterirdisch verbunden. Die Löcher
waren eng und lagen manchmal etwas versteckt in kleinen
Räumen, je nachdem an welcher Stelle sie auf den nächsten
Keller trafen. Wer sich hier auskannte, konnte jeden Verfolger
abschütteln. Und Leo kannte sich aus, denn Wilhelm hatte
einen selbst gezeichneten Plan dieser Katakomben auf den Küchentisch
gelegt und Leo genötigt, sich das Gewirr aus Gängen
und Öffnungen für Notfälle einzuprägen. »Danke, Wilhelm«,
keuchte Leo halblaut, als er sich durch das erste Loch zwängte.
Hinter ihm klirrte und knirschte es immer noch, begleitet von
Flüchen.
    Leo hastete weiter durch die Keller der Kurfürstenstraße,
zwängte sich durch Löcher, rappelte sich hoch und wurde erst
langsamer, als er ein halbes Dutzend Häuser unterquert hatte.
Seine Augen hatten sich so weit an die Dunkelheit gewöhnt,
dass er die Wände im schwachen Licht der Kellerfenster zumindest
erahnen konnte. Einmal fiel ein gelblicher Schimmer
durch eine halb offen stehende Tür. Als Leo vorbeischlich,
blickte er in ein Dutzend verängstigte Gesichter, die ihn über
eine flackernde Kerzenflamme hinweg ausdruckslos anblickten.
Ein Kind wimmerte und eine Mutter summte eine zittrige
Melodie. Leo huschte weiter.
    Bald darauf war er sicher, dass er seine Verfolger vorerst
abgeschüttelt hatte. Aber was nun? Es

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