Schattenspur
er die anderen Seelen wider Erwarten freiließ, diese eine Seele, auf die es Kia am meisten ankam, würde er so oder so vernichten. Ihr blieb nur eine Möglichkeit. Sie musste ihn mit seinen eigenen Mitteln schlagen. Dafür brauchte sie einen klaren Kopf und kühlen Verstand. Doch als Erstes musste sie sich um ihre Großmutter kümmern.
Als sie den Raum verlassen wollte, um zum Telefon zu gehen, das im L a den auf der Theke stand, fiel ihr Blick auf den Boden, wo die verstreuten Orakelknochen lagen. Wie jedes Mitglied ihrer Familie war auch sie von Ki n desbeinen an mit Orakeltechniken verschiedener Art vertraut. Obwohl ihre Großmutter oder Louis die Knochen ganz sicher nicht als Orakel auf den Boden geworfen hatte, waren sie dennoch so gefallen, dass sie zu Kia spr a chen. Was sie darin las, machte ihr Mut und bestätigte ihr, dass ihre En t scheidung richtig war, sich Louis nicht zu beugen.
Ein Punkt irritierte sie jedoch. Die Knochen sprachen davon, dass sie Hilfe bekäme von jemandem, der ihr nahestand. Außer ihrer Großmutter gab es aber keinen Menschen mehr, der ihr nahestand; sie hatte nicht mal Freunde. Vielleicht bezog sich das Orakel auf den Geist ihrer Mutter. Sie hatte Kia versprochen, dass sie in der Stunde der Not immer bei ihr sein würde, auch nach ihrem Tod. Oder die Knochen meinten ihren Schutzgott, Ogou, dem sie bei ihrer Geburt geweiht worden war. Das würde sich zeigen.
Sie sammelte die Knochen auf und legte sie in dem Beutel, in dem sie g e wöhnlich ruhten, auf den Tisch. Den Knochen, den sie versehentlich zertr e ten hatte, würde sie ersetzen, sobald sie die Gelegenheit dazu bekam. Gro ß mutter hatte Vorrang.
Sie ging zum Telefon und rief die Ambulanz.
2.
C
hief Lee Hanson von der Savannah-Chatham Metro Police em p fing Wayne und Travis mit energischem Auftreten und misstrau i schem Gesichtsausdruck. Er verzichtete darauf, ihnen die Hand zu reichen und ignorierte Waynes und Travis ihm dargebotene. Ebenso verzic h tete er auf eine Begrüßung.
„Was bringt eine Sondereinheit des FBI, von der ich noch nie was gehört habe, in meine Stadt?“
Wayne lächelte. „Guten Tag, Chief Hanson. Ich bin Special Agent Wayne Scott, dies ist mein Partner, Special Agent Travis Halifax.“
Travis grüßte ihn ebenfalls. Da der Chief ihnen keinen Platz anbot, blieben sie stehen, was ihn sichtlich überraschte. Offenbar war er gewohnt, dass FBI Agents, die zu ihm kamen, es an Höflichkeit mangeln ließen. In Savannah gab es ein kleines Field Office der Atlanta Division, in der 220 East Bryan Street. Wayne und Travis waren dort heute Morgen bereits vorstellig geworden, bevor sie Hanson aufsuchten, um sich über die Dinge zu informi e ren, die sie in dieser Gegend zu beachten hatten, damit sie in so wenige loka l spezifische Fettnäpfe wie möglich traten. Die Kollegen dort waren gewoh n heitsgemäß nicht begeistert gewesen, Sonderagenten vor die Nase gesetzt zu bekommen, denen sie zur Verfügung zu stehen hatten. Weder die örtliche Polizei noch die Agents in den FBI Divisions und Field Offices mochten es, wenn Leute von außerhalb einen Fall übernahmen und den damit verbundenen Ermittlungse r folg einheimsten. Nachdem Wayne ihnen klargemacht hatte, dass der Fall, um den es ging – falls es sich tatsächlich um einen Fall handelte –, mit keiner Silbe als Ermittlungserfolg von irgendwem in der Öffentlichkeit erwähnt werden würde, waren die Kollegen zugänglicher geworden und ha t ten sie auf das vorbereitet, womit sie bei Chief Hanson zu rechnen hatten.
„Sie haben deshalb von unserer Abteilung noch nichts gehört, Sir, weil u n sere Operationen normalerweise geheim sind und wir auch die Behörden, mit denen wir zusammenarbeiten, aus gutem Grund um absolute Geheimha l tung bitten.“
Hanson setzte sich in seinen Sessel und ließ Wayne und Travis weiterhin stehen. „Was für ein guter Grund sollte das sein?“
„Die Special Cases Unit beschäftigt sich, wie ihr Name schon sagt, mit sp e ziellen Fällen, die nicht zum herkömmlichen Ermittlungsfeld des FBI geh ö ren. Fälle, die besondere Maßnahmen erfordern und von denen die Öffen t lichkeit nichts wissen sollte.“
„Und so ein Fall führt Sie hierher?“ Hanson schüttelte den Kopf. „Wenn es irgendwelche besonderen oder gar außergewöhnlichen Vorfälle gegeben hä t te, wüsste ich davon. Was also wollen Sie wirklich?“
„Das hat mein Partner Ihnen bereits gesagt, Sir.“ Travis nickte bekräft i gend. „Sie
Weitere Kostenlose Bücher