Schattenspur
den Blick von ihm wenden. Kia hatte den Eindruck, als wäre er von einem strahlenden Licht umgeben, das die markanten Züge seines G e sichts unterstrich. Der Schnitt seines Anzugs passte sich perfekt seinen bre i ten Schultern an und ließ die wohlproportionierten Muskeln erkennen, die denen eines Athleten in nichts nachstanden. Die Art, wie er im Raum stand, wirkte selbstsicher und lässig, als gehörte er hierher. Und diese Augen … Kia hatte noch nie Augen von einem so tiefen Blau gesehen – wie die Abgründe des Ozeans, in denen sie versinken könnte.
Sie kam erst wieder zu sich, als er Pete ansah und ihm die Hand reichte.
„Officer Samuels? Ich bin Special Agent Wayne Scott. Mein Partner Travis Halifax.“
Während der Braunhaarige Pete ebenfalls die Hand reichte, kam Wayne Scott auf sie zu und hielt ihr die Hand hin.
„Sie müssen Joy Renard sein.“
Sie nickte und ergriff zögernd seine Hand. Als sie sie berührte, hatte sie das Gefühl, als würde ein sanfter Stromschlag durch sie fließen, angenehm und unangenehm zugleich. In jedem Fall so überraschend, dass sie ihre Hand hastig zurückzog. Verdammt, das musste auf ihn wirken, als hätte sie etwas zu verbergen oder als wäre es ihr unangenehm, ihm die Hand zu geben, weil er ein Weißer war. Falls er daran Anstoß nahm, ließ er es sich nicht anmerken.
„Wir haben gerade Ihre Großmutter besucht, Ms. Renard. Man sorgt sehr gut für sie. In diesem Punkt brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.“ Er lächelte. „Obwohl Sie sich natürlich welche machen.“
Sie nickte und brachte immer noch kein Wort heraus. Wieso nicht, ve r dammt? Es lag wohl kaum daran, dass er vom FBI war. Wayne Scott strahlte etwas aus, das entfernte Ähnlichkeit mit dem Gefühl besaß, wenn sich das Kommen eines Loa ankündigte. Vertraut und mächtig zugleich.
„Vielleicht können Sie uns helfen, ein bisschen Licht in die Sache zu bri n gen.“
Licht. Wieso hatte sie bei ihm den Eindruck von Licht?
„Können wir uns irgendwo in Ruhe unterhalten?“
Sie nickte und bekam endlich, wenn auch mit Mühe, die Zähne auseina n der. „Ja.“ Sie räusperte sich, weil ihre Stimme kratzig klang. „Oben. Meine Großmutter wohnt über dem Laden. In der Wohnung sind wir ungestört.“ Sie räusperte sich erneut. „Sie mögen Lavendeltee? Soll ich welchen kochen?“
Er strahlte. Sein Lächeln ließ die ausdrucksvollen Linien seines Gesichts noch stärker hervortreten und nahm ihm den Hauch von Strenge, den sie zuerst empfunden hatte. Es wirkte auf Kia wie eine körperliche Berührung, ein Streicheln, wie ein Kuss und vermittelte ihr ein warmes Gefühl, das …
„Das wäre wunderbar“, riss seine Stimme sie in die Realität zurück. „Aber bitte nur, wenn es Ihnen keine Mühe macht. Ansonsten kaufe ich ein Pfund und koche ihn mir später selbst. Ich werde sowieso welchen kaufen. Falls Sie nicht ausschließlich vor Ort verkaufen, sondern auch per Mail, dann haben Sie ab sofort einen neuen Stammkunden.“ Er schüttelte den Kopf. „Sie a h nen nicht, wie lange ich schon nach einem Händler suche, der Lavendeltee im Angebot hat. Vernünftigen, nicht nur Schwarz- oder Grüntee mit ein paar Alibi-Lavendelblüten in einer so geringen Zahl, dass man sie mit der Lupe suchen muss.“
Sie lächelte. Sein Humor und seine Freundlichkeit nahmen ihr etwas von ihrer Unsicherheit, obwohl sie sich sagte, dass das wahrscheinlich Taktik war, damit er sie leichter verhören konnte. Aber etwas in ihr wollte das nicht gla u ben.
„Wir haben Grün- und Schwarztee mit Lavendel, aber auch Kräutertee mit Lavendel. Welchen möchten Sie?“
„Grüntee bitte.“
Sie ging hinter den Tresen und holte die große Metallbox aus dem Regal. „Wenn Sie mir bitte folgen wollen.“
Agent Scott eilte ihr voraus, als sie auf die Tür zusteuerte, die zur Treppe nach oben führte, und hielt sie ihr auf. Kia ging voran und hielt die Box fest an sich gedrückt, als wäre sie ein schützender Schild. Dass Agent Scott dicht hinter ihr ging, wenn er auch einen höflichen Abstand wahrte, verursachte ihr ein Kribbeln am ganzen Körper, das sie sich nicht erklären konnte. Als wenn von ihm elektrische Wellen ausgingen und sie einhüllten. Das war natürlich Einbildung. Aber es fühlte sich so real an, dass es ihr Angst machte. Deshalb war sie froh, als sie in der Wohnung angekommen waren.
Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, wie ärmlich diese eingerichtet war. Die Möbel waren alt, die Polster mehrfach geflickt, was
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