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Schattensturm

Schattensturm

Titel: Schattensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Saumweber
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mitgespielt zu haben. Ihre Augenringe waren dunkler, als er sie in Erinnerung hatte, ihre Körperhaltung war schlaffund passiv. Er schätzte sie auf mindestens fünf Kilo leichter als damals. Er war bisher noch nie einem Hexer mit Magersucht begegnet, aber bei ihrem Anblick glaubte er plötzlich daran, dass es das gab.
    »Hey«, begrüßte er sie, als sie in Sprechreichweite waren.
    »Hey.« Ihre Stimme war die eines wehrlosen Kindes, das bereit war, die Schläge über sich ergehen zu lassen, die ihm drohten.
    »Du kennst mich noch?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Was willst du von mir?«
    »Dich vor einem schweren Fehler bewahren.«
    Sie zuckte erneut mit den Schultern.
Was auch immer passiert ist, hat sie gebrochen.
Damals auf dem Scheißhaus hatte sie sich gewehrt. Wenn er sie jetzt angreifen würde, hatte er den Verdacht, dass sie noch nicht einmal die Arme heben würde, um ihr Gesicht zu schützen.
    Mickey lächelte. »Na los, komm schon. Lass uns wo hingehen und etwas essen. Du siehst verhungert aus. Ich lade dich ein.« Es war ganz und gar nicht das, was er von dieser Begegnung erwartet hatte, doch als das Mädchen zögerlich nickte, wusste er, dass sein Instinkt ihn nicht betrogen hatte. Sie vertraute ihm. Und warum auch nicht? Schließlich hatte er sie damals laufen lassen, als er ihr Leben in der Hand hatte. Er gab seinen Gefährten das Signal, ihnen in sicherer Entfernung zu folgen, dann führte er sie weg vom Bahnhof in die Stadt.
    Das ist mein erstes Date seit zehn Jahren
. Er hatte Mühe, sich das Lachen zu verkneifen.

BATURIX
     
    Die Pforte am Gridsetskolten, Romsdalsfjord, Norwegen
    Freitag, 22. Oktober 1999
    Die Innenwelt
     
     
    Es war der Schattenfeind persönlich, der am Fuße der großen Weißtanne erschien. Baturix gab ein Handzeichen, worauf sich seine Männer entspannten und zurück auf ihre Wachposten beziehungsweise in die Höhle zum Schlafen gingen. Baturix selbst verneigte sich tief.
    »Hoch mit dir, Baturix!«, knurrte Derrien. »Ich bin nicht die Spinne, du weißt, wie wenig ich dieses Herumgekrieche leiden kann!«
    »Jawohl, Herr.«
    Das letzte Mal, dass Baturix Derrien persönlich zu Gesicht bekommen hatte, lag nun schon Monate zurück. Seitdem hatte er nur noch mit Derriens Druiden zu tun gehabt, meistens mit Murdoch oder Ryan. Er war überrascht, dass Derrien heute persönlich erschienen war. Vielleicht war sein Posten hier doch wichtiger, als er bisher gedacht hatte …
    Der Druide war etwas kleiner als Baturix und trug sein braunes Haar kurz. Er hatte einen Dreitagebart, der die dünnen Narben in seinem Gesicht nur unzureichend verdeckte. Seine Kleider bestanden aus einer Hose aus Zeltstoff und einem groben schwarz-weiß gestreiften Kapuzenpullover aus Leinen, beides nach Schnitt der Außenwelt, aber offenbar in der Innenwelt hergestellt. Druiden verwendeten solche Kleider gerne, weil sie damit die Welten wechseln konnten, ohne ständig Ersatzkleidung bei sich tragen zu müssen. Offenbar plante Derrien nicht, lange hier zu bleiben. Er hatte noch nicht einmal sein Druidenschwert bei sich, nur einen hölzernenZylinder, den er wie einen Köcher schräg auf seinem Rücken trug.
    »Was gibt es Neues?«, fragte der Anführer der Waldläufer.
    »Nicht viel«, gestand Baturix. »Die Berichte haben sich bestätigt, die Fürstin Gudrun ist tatsächlich auf Trollstigen. Die Felder sind abgeerntet, der Schnee hat ihr Vieh von den Bergweiden ins Tal getrieben. Die Leute sind bereit für den Winter, und draußen passiert nicht mehr viel. Es sind noch immer fünf Boote auf dem Fjord, noch immer fehlt eines der Langschiffe, und der Dämon hat sich auch nicht blicken lassen.«
    »Gut«, meinte Derrien. Baturix wunderte sich, was daran wohl gut sein mochte.
    Der Druide ging zu der Felsenklippe, die in der Mitte der Pforte neben der Weißtanne aufragte. Wortlos kletterte er das Seil hinauf nach oben. Baturix fragte sich, ob er von ihm erwartete, ihm zu folgen, und entschied sich dafür. Wegschicken konnte Derrien ihn immer noch. Er kletterte ihm hinterher und hörte gerade noch, wie der Druide brüsk den Wachtposten von der Spitze des Felsens verscheuchte.
    Als sie alleine waren, setzte sich Baturix neben Derrien, der nachdenklich vor sich hin starrte.
    Der Ausblick von hier war phänomenal, wenngleich es heute nicht viel zu sehen gab. Es war ein windstiller, trockener Tag, einer der Sorte, die man nicht oft bekam an Norwegens Küste. Eine dicke Nebelschicht verbarg den Fjord vor ihren Augen

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