Schattensturm
Hand den Zügel losgelassen und hakte sie nun mit dem Daumen in seinen Gürtel, direkt neben dem Heft seines Schwerts. Es sagte mehr über die Stimmung im Lager aus als Baturix es mit Worten vermocht hätte. Der Schattennebel hatte die Kelten zermürbt.
Als sie heran waren, rief einer von ihnen plötzlich: »Herr Derrien!« Es war Bretonisch. Der Mann gab ein kurzes Handzeichen, woraufhin sich die Männer auf ein Knie sinken ließen und sich verbeugten. Ein Raunen lief durch sie hindurch.
»Häuptling Derrien!«, flüsterte jemand.
»Habt Ihr Neuigkeiten?«
»Was ist mit unseren Familien?«
»Bringt Ihr uns nach Hause?«
Derrien zügelte seine Stute. »Was zum Teufel hat das zu bedeuten?«
Baturix ritt langsam weiter. »Ich bringe Euch am besten zu meinem Herrn. Cintorix wird Euch alles erklären.«
Die Stute wollte Baturix’ Pferd folgen, doch Derrien hielt sie zurück. »Verdammt, sie sagten
Häuptling
Derrien! Was soll das? Was ist mit Häuptling Nerin? Was ist passiert?« Derrien spürte erneut den Zorn in sich brodeln. Die Ahnenstimmen begannen, in seinem Hinterkopf zu flüstern, und forderten Baturix’ Blut, der ihm offenbar etwas verheimlicht hatte. Sie versprachen ihm die Wut, die Blut-Wut, in die er sich fallen lassen konnte und die ihm für ein paar Augenblicke das Denken abnehmen würde. »Baturix, was hast du mir verheimlicht?! Verdammter Kerl, du hattest Stunden, mir davon zu erzählen!«
Baturix erkannte offenbar, dass sich Derrien nicht vertrösten ließ. Er zügelte ebenfalls sein Pferd und wandte sich zu ihm um. »Es gab einen Überfall auf Kêr Bagbeg. Euer Häuptling wurde verletzt, manche behaupten sogar, dass er getötet wurde. Das stimmt nicht, aber Ihr wisst, wie schnell Gerüchte im Umlauf sind.«
Derrien starrte ihn fassungslos an. Ein Überfall auf Kêr Bagbeg, die Hauptstadt der Bretonen! Sein Herz schien einen Schlag lang auszusetzen. Er hatte sich zuletzt so gefühlt, als er die Nachricht vom Tod seines Bruders erhalten hatte. Damals hatte er sich geschworen, zumindest auf dessen Sohn aufzupassen, auf Ergad, den Ronan über alles geliebt hatte. Hatte er etwa auch damit versagt, noch bevor er begonnen hatte?
»Herr Derrien«, rief einer der Männer und riss ihn aus seinen Gedanken, »der Spinnenfürst versucht uns umzubringen! Bringt uns nach Hause!«
»Sei still, Mann!«, erwiderte Baturix erbost. »Und hüte deine Zunge!«
»Aber es stimmt!«, rief ein anderer. »Er bringt uns um, einen nach dem anderen!«
»Und der dort hilft ihm!« Ein anklagender Finger reckte sich gegen Baturix.
Derrien beschloss, Ergads Schicksal für den Moment zu ignorieren. Er konnte im Moment nicht mehr darüber erfahren, und es gab Probleme, die
hier und jetzt
gelöst werden mussten. Er fixierte Baturix mit den Augen und fragte ihn kalt: »Ist das wahr?« Die Spinne folgte einem giftigen Baumzeichen und war kalt und skrupellos. Er traute ihr durchaus zu, Menschen umzubringen, wenn es ihr einen persönlichen Vorteil bringen würde.
»Natürlich nicht!«, antwortete Baturix, doch er wich seinem Blick aus. Sein Gesicht verzog sich, als er mit sich selbst rang. »Mein Herr hat den Befehl gegeben, alle gefassten Deserteure zu hängen«, erklärte er dann. »Seitdem die Nachricht vom Überfall auf Eure Heimatstadt bekannt ist, desertieren hauptsächlich Bretonen.« In diesem Moment flog ein Stein durch die Luft und traf die Flanke seines Pferdes. Zwei weitere folgten, einer traf Baturix’ Helm, der andere ging daneben. Der braune Wallach verdrehte die Augen und versuchte, vor den Menschen um ihn herum zurückzuweichen.
Derrien sah sich hastig um, versuchte, den Steinwerfer zu finden, doch das Problem war noch größer, als er angenommen hatte – überall sah er Bretonen, die sich zu Boden bückten und im Dreck nach Wurfgeschossen suchten.
»HALT!«, schrie er.
Ein weiterer Schauer Wurfgeschosse ging über Baturix nieder. Die Männer um den Helvetier herum traten plötzlich vor und bedrängten ihn, einer griff nach den Zügeln des Pferdes, ein andererzerrte plötzlich an seinem Bein. Derrien war für einen Moment zu fassungslos, um zu reagieren, so schnell hatte sich die ehrfurchtsvolle Menge in einen wütenden Mob verwandelt, der seine Wut auf den Helvetier entlud. Baturix’ Pferd stieg, wild wiehernd, die Augen panisch verdreht. Derrien sah die Hufe in der Luft, wusste, dass sie jeden Moment wieder nach unten fallen würden, wo dicht gedrängt die Bretonen standen und wegen des Drucks der
Weitere Kostenlose Bücher