Schattensturm
sie
tötet
euch!«
Doch die Phantome schienen begriffen zu haben, wie wehrhaft ihre Beute war. Das Knurren wich einem kurzen Kläffen, dann verschwand der Rest des Rudels im Nebel.
»Na wartet!«, brüllte er in den Nebel. »Euch kriege ich auch noch!«
Nachdem er das Schwert seines Bruders zurück in die Scheide gesteckt hatte, verpuffte sein Ärger langsam und machte einer unangenehmen Ernüchterung Platz. Irgendwie häuften sich in der letzten Zeit seine Drohungen und Versprechungen – vor allem die, die er nicht einhielt. Er hatte den Verdacht, dass auch dieses hier ein leeres Versprechen gewesen war.
Derrien musste sich eingestehen, dass der Helvetier, der dort verletzt und stöhnend unter seinem Pferd lag, mit seiner Frage etwas angerührt hatte, was Derrien niemals zu denken gewagt hätte.Wenn es ihnen nicht bald gelang, wenigstens eines der Hauptziele des Feldzuges zu erreichen – Ashkaruna oder Rushai zu vernichten, ihren Nachschub an Fomorern zu stoppen oder gar herauszufinden, wo die Schatten herkamen –, würden sie den Krieg verlieren.
Sie erreichten das Feldlager der Spinne etwa zwei Stunden später. Zwei
mörderische
Stunden, voll von Streit und Angst, von Fehltritten und Unfällen, verfolgt von Wolfsgeheul und ölig schimmernden Augen aus dem Nebel. Die Präsenz der Phantome hatte die Pferde noch unruhiger und die Männer noch aggressiver gemacht, ihre Angriffe auf Nachzügler und Ausbrecher hatten vier Pferde gekostet und zwei Krieger schwer verwundet.
Nun schimmerten vor dem Trupp die Feuer des Feldlagers aus der Dunkelheit. Seine Stute drängte ungeduldig vorwärts, und Derrien war mehr als bereit nachzugeben. Schließlich schälte sich vor ihnen das Tor des Lagers aus dem Nebel, über dem zwei walisische Krieger auf der Palisade Wache hielten.
»Wer seid ihr?«, rief eine der Wachen zu ihnen herab. Selbst hier war der Nebel dicht genug, um seine Stimme zu dämpfen.
Derrien legte seine Hände um den Mund. »Der Schattenfeind«, schrie er, »mit Männern der Spinne! Wir haben Verwundete, also macht das verdammte Tor auf!«
Die Krieger verschwanden von ihrer Palisade und kamen eilig seinem Befehl nach.
Das Lager der Ratsarmee befand sich in einem erbärmlichen Zustand. Die Lagerstraßen waren matschig getreten, aus den Freiräumen zwischen den Zelten stank es geradezu erbärmlich nach Scheiße. Der Boden um die Latrinen herum sah aus, als ob sie der gestrige Regen zum Überlaufen gebracht hätte. Die wenigen Krieger, die zu sehen waren, waren müde und schmutzig. Zwar war die einstige Präzision, mit der das Lager errichtet worden war, durchaus noch zu erkennen – die Zeltstraßen waren sorgfältig ausgerichtet, das Lager mit Wall und Graben umgeben, die Ruinen im Lagerzentrumintelligent integriert –, doch das alles trat zurück hinter Dreck und Vernachlässigung.
Derrien winkte einen der Helvetier voraus auf die Suche nach einem Heiler. Dann half er den anderen, die Verwundeten vorsichtig aus den Sätteln zu heben. Einer von ihnen war von einem der Phantome in den Hals gebissen worden und hatte eine Wunde erlitten, die die letzte Stunde kräftig geblutet hatte. Der andere – der, der ihm jene Fragen gestellt hatte – hatte sich bei seinem Sturz die Hüfte gebrochen. Beide befanden sich am Rande der Bewusstlosigkeit, beide benötigten
dringend
Hilfe.
Es dauerte ein paar Minuten, bis der Helvetier zurückkam, eine Frau in mittleren Jahren im Schlepptau, die aussah, als ob sie selbst einen Heiler brauchte. Sie wirkte mager und abgekämpft, mit tiefen Augenringen und ohne jegliche Körperspannung. Automatenhaft ließ sie sich bei den Verwundeten nieder und begann, in ihrer Tasche zu kramen. Während sie dem Helvetier mit der Hüftverletzung einen Trank einflößte, tauchte ein weiterer Mann auf, zwei Tragen unter dem Arm.
»Mein Herr«, riss ihn Baturix’ Stimme aus seinen Gedanken.
»Ich komme.« Derrien schwang sich wieder in den Sattel und folgte ihm. Beinahe hätte er vergessen, dass die Spinne auf ihn wartete …
Während sie in gemächlichem Schritt die Lagerstraße entlangritten, liefen vor ihnen plötzlich Männer aus ihren Zelten und bildeten eine Gasse. Sie standen nur da und blickten mit großen Augen zu ihnen, eine Gruppe von vielleicht fünfzig Leuten, doch es quollen immer mehr aus ihren Zelten und ließen die Zahl der Wartenden anschwellen.
Baturix’ Stirn war in Falten gelegt, offenbar wusste auch er nicht, was das zu bedeuten hatte. Er hatte mit der rechten
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