Schattensturm
dafür eine Sprache, die Keelin bisher noch nie gehört hatte und die nur entferntnach Gälisch klang. Ohne den Knochenzauber, den sie sich unter der Jeans um den Oberschenkel gebunden hatte und der ihr ein intuitives Verständnis für Sprachen gab, hätte sie kein Wort verstanden. Mr. Sundby öffnete das Gefäß und fächelte kurz darüber, ganz so, als ob er einen Geruch darin ausbreiten wollte. Für einen kurzen Moment sah Keelin die Luft flimmern, dann schloss er die Zuckerdose wieder und stellte sie zurück auf das Tablett.
»Aber nun zu dem eigentlichen Grund Ihres Besuchs«, leitete der Mann schließlich über. »Sie sind gekommen, um uns etwas zu zeigen, haben Sie mir am Telefon erläutert. Ich begrüße das selbstverständlich, aber ich wundere mich, warum Sie damit nicht nach Narvik gegangen sind. Immerhin wäre Narvik viel näher und weniger umständlich zu erreichen gewesen, finden Sie nicht?«
»Der Mann, der mich geschickt hat, hat mir die schottischen Piktenstämme empfohlen«, erwiderte Keelin vorsichtig.
»So. Und wer ist dieser Mann, wenn mir die Frage gestattet ist?«
»Ein bretonischer Druide.«
»Nun, wollen Sie mir vielleicht auch seinen Namen verraten?«, fragte Mr. Sundby. »Die Isle of Lewis mag zwar abgelegen sein, aber sie ist nicht das Ende der Welt!«
»Derrien. Derrien von Kêr Bagbeg oder auch Derrien Schattenfeind. Sagt Ihnen der Name etwas?«
»Fürwahr.« Er lächelte kurz. »Jetzt verstehe ich auch, warum er sich nicht an die Pikten in Narvik gewandt hat.« Er machte keine Anstalten, mehr darüber zu erzählen. Keelin fragte auch nicht weiter nach.
»Haben Sie eigentlich schon unseren wunderschönen Steinkreis gesehen?«, fragte Mr. Sundby schließlich.
»Bisher noch nicht«, erwiderte Keelin. »Aber wir sind schon sehr gespannt darauf.«
»Aus gutem Grund. Kommen Sie, wenn Sie ausgetrunken haben, bringe ich Sie dorthin!«
Die Aufforderung war unmissverständlich.
Der Sturm tobte noch immer, als sie in ihre Innenweltkleider gewechselt hatten und das Haus verließen, weshalb Mr. Sundby sie auch gleich zu seinem Auto führte.
»Ich fürchte«, erklärte er, als sie eingestiegen waren und er den Motor anließ, »dass Sie bei diesem Wetter unseren Steinkreis gar nicht würdigen können.«
»Es wird ja nicht die ganze Zeit regnen«, erwiderte Keelin. »Wie ich am Telefon schon sagte, wenn das für Sie in Ordnung ist, werden wir wohl eine Weile hierbleiben,.«
»Selbstverständlich ist das in Ordnung, Mrs. Urquhart!«
Er steuerte den Wagen aus seiner Hofeinfahrt auf die Straße. Der Regen hämmerte mit voller Wucht auf das Dach und hörte sich beinahe an wie Hagel. Der Scheibenwischer fegte mit jedem Zug ganze Sturzbäche von der Windschutzscheibe und hielt die Sicht doch nicht länger frei als für einen Augenblick. Er bog nach rechts ab, kurz darauf erneut. Nur alle fünfzig Meter stand ein Haus am Straßenrand, halb unsichtbar hinter den Regenschleiern. Es war
wirklich
eine einsame Gegend.
»So einen Regen hatten wir schon lange nicht mehr«, kommentierte Mr. Sundby.
Sie saßen noch keine fünf Minuten im Auto, als Keelin plötzlich eine Aura spürte, das Pochen von Magie, die synchron mit ihrem Herzschlag durch ihren Körper floss. Ein Gefühl von Macht und Stärke breitete sich in ihr aus, während sich ihr Bewusstsein weitete und ihre Umgebung in sich aufnahm. Zuerst spürte sie Mr. Sundby, ein Druide, dessen Magie deutlich stärker strahlte, als sie erwartet hatte, dann Brynndrech hinter sich, seine Übernatürlichkeit gänzlich abgeschirmt durch den Ring an seiner Hand. Ihr Geist überwand die Grenzen des Fahrzeugs und erspürte die Steine zu ihrer Linken, alte, uralte Steine, die bereits Jahrtausende gesehen hatten und mittlerweile, jeder für sich, erwacht und zu Bewusstsein gekommen waren und Geister trugen.
Mr. Sundby hielt am Straßenrand. »So, hier sind wir schon. Sie spüren es wahrscheinlich bereits, nehme ich an?«
Keelin zwinkerte, als sie ihren Geist in die Schranken verwies, und schüttelte kurz den Kopf. »Ja …«, flüsterte sie.
»Dann sind Sie also
doch
Druiden. Ich war mir nicht sicher …«
»Wir tragen Zauber, die unsere Magie verbergen.«
»Das ist also der Grund. Nun, ich dachte mir bereits so etwas. Wenn Sie wollen, können Sie gleich hier vom Auto aus nach drüben wechseln. Das hat den Vorteil, dass Sie so wenig nass wie nötig werden. Auf der anderen Seite befindet sich an dieser Stelle nämlich ein Unterstand.«
»Was ist mit
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