Schattentänzer
Rätsel.
Stirnrunzelnd ging ich weg. Irgendwas ging da vor sich. Vor allem mit Morpheus. Er verschwand manchmal von der Bildfläche, aber ich hatte noch nie gehört, daß er seine ganze Bande mitgenommen hätte. Irgendwie konnte man ihn immer erreichen.
Ich ging nach Hause.
Einen Schritt vor meiner Haustür erfuhr ich die Neuigkeiten von einem Nachbarn.
»Im Cantard ist die Hölle los, alter Knochen«, erklärte ich dem Toten Mann. »Hab’s eben erst gehört. Alles steht kopf. Sieht aus, als hätten unsere Truppen und die der Venageti Glanz Großmond an einem Ort namens Nackenbrechertal in die Zange genommen. Aber bis jetzt weiß man noch nicht, wie die Schlacht ausgegangen ist.« Der Nachbar hatte nur gewußt, daß es ein mörderisches Gemetzel sein mußte. Vermutlich waren die nördlichen Verbände sofort zur Verstärkung hingeschickt worden. Allein die Tatsache, daß man Großmond in die Falle gelockt hatte, war schon eine wichtige Neuigkeit.
So etwas hatte ich erwartet. Ich habe diese Energien gespürt … Es muß die Mutter aller Schlachten sein, und sie ist immer noch im Gang. Ich hätte nicht erwartet, daß Großmond zu einer so heftigen Gegenwehr fähig wäre.
»Ratten, die man in die Enge treibt.« Aber Großmond tat ja immer das Unerwartete.
Vielleicht. Aber wir sollten nicht zuviel darüber nachdenken, bevor wir vernünftige Informationen haben. Ich spüre, daß du besorgt bist.
»Du bist ein wahres Genie. Verblüffend, wie du das wieder rausgekriegt hast.« Ich berichtete ihm von meinem Tag, so wie er bisher gelaufen war.
Geh essen und laß mich nachdenken.
Ich gehorchte ohne Widerspruch. Daran kann man sehen, wie niedergeschlagen ich war und wie unzulänglich ich mich fühlte.
»Er hatte eine Stunde Zeit«, erklärte ich Dean, der die Nase gründlich davon voll hatte, daß ich in der Küche herumlungerte. »Das sollte für ein Genie reichen.« Mit vollem Bauch und optimistisch genug, um die Gedanken an Selbstmord vorerst beiseite zu schieben, ging ich über den Flur.
Carla Lindo verließ das Zimmer des Toten Mannes. Sie hatte Handfeger und Schaufel dabei. Ich starrte sie ungläubig an. Hinter mir stotterte Dean eine Entschuldigung. »Sie wollte sich unbedingt nützlich machen, Mr. Garrett. Und er stört sie nicht.«
»Fein.« Ein Blick von ihr reichte, und mir wurden die Knie weich. Eigentlich wartete ich darauf, daß überall in der Stadt die Feuerglocken zu bimmeln anfingen.
Ich riß mich zusammen und schleppte mich in das Zimmer des Toten Mannes, bevor ich noch auf den Flurteppich sabberte.
Sie ist attraktiv, oder?
»Was? Du auch?« Wir lebten tatsächlich in einem Zeitalter der Wunder. Die Jahrtausendwende stand unmittelbar bevor. Bisher hatte er noch nie ein freundliches Wort über das andere Geschlecht verloren. Aber vielleicht war Carla Lindo anders genug, daß sie selbst einen Toten Mann erregte.
Hast du etwas zu berichten?
»Wie?«
Berichten. Vielleicht verhindert es ja, daß du hyperventilierst.
»Ich habe dir schon alles erzählt.«
Ach ja? Tatsächlich.
Irgend jemand hämmerte gegen die Haustür. Der Tote Mann schien nicht daran interessiert zu sein. Ich ignorierte es. Wer es auch war, würde irgendwann weggehen. Es wurde Zeit, mein Leben zu vereinfachen.
Ich habe nachgedacht. Garrett.
»Heh, großartig! Freut mich zu hören. Vor allem, weil du dafür schließlich bezahlt wirst.«
Garrett. Die Zeit wird knapp.
»Dann hör auf, sie zu verschwenden. Mir bleiben höchstens noch dreißig Jahre.«
Ich habe über das Buch der Träume nachgedacht. Mir ist klar geworden, daß Kain Kontamin die Quelle all der Aufregung bald entdecken muß, wenn er es nicht längst getan hat. In dem Augenblick dürfte sein Interesse sich verschärfen und weit über bloße Rache hinausgehen.
»Wie?« So redet er immer. »Ich komm nicht mehr mit.« Das stimmte zwar nicht, aber er liebt es, sich schlauer als der Rest der Welt vorzukommen. Und der beste Weg, ihn zum Reden zu bringen ist, ihn zu bauchpinseln.
Je mehr ich über dieses Buch der Schatten nachdenke, desto unheilvoller und verlockender kommt es mir vor.
Ich gab Laute von mir, die bewundernde Neugier andeuten sollten.
Wir alle spielen Rollen, Garrett. Wir alle entwickeln verschiedene Masken, die wir je nach Situation und momentanen Gefährten aufsetzen … vielleicht auch nach Vorteilen, die wir uns in diesem Augenblick versprechen. Wie furchtbar angenehm wäre es, die Fähigkeit zu besitzen, zu werden, was wir sein wollen, und
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